Hier finden Sie den ausführlichen aktuellen Geschäftsbericht 2023 der Mindful Change Foundation inklusive finanziellem Bericht als pdf-Datei.
Bericht über die Tätigkeit der Stiftung
Überblick
Im Jahr 2023 haben wir
- das Samentacom-Projekt in der Côte d’Ivoire und das Yenfaabima-Projekt aus Burkina Faso fortgeführt und
- die Umsetzung des 2022 geplanten Projekts „CAMPPSY“ der Zusammenarbeit mit den Gebetscamps in zwei Regionen der Côte d’Ivoire mit starker finanzieller Unterstützung der Schmitz-Stiftungen realisiert.
Wir haben in dem Geschäftsbericht von 2022 unsere grundsätzliche Ausrichtung und die beiden dauerhaHen Projekte ausführlich vorgestellt. Deshalb wollen wir diesmal vor allem über das 3. Projekt berichten, das vorrangig unsere Aufmerksamkeit beansprucht hat.
Samentacom / Côte d’Ivoire
Die Aktivitäten im Rahmen von Samentacom in der Elfenbeinküste wurden unverändert und in ähnlichem Umfang fortgesetzt: Supervision der Behandlungen in den Centres de Santé (Dispensaires), Telefonberatungen, aufsuchende Hilfe und Arbeit mit den Familien durch die Agents de santé, staGonäre Behandlungen für einzelne Patient:innen, Unterstützung von zwei Selbsthillfegruppen der Betroffenen und ihrer Angehörigen. Medikamente konnten wir über Medeor liefern, leider mit zeitweiligen Enpässen (s. u. „Ausblick“). Eine besondere Rolle spielen Auplärungsveranstaltungen und Radiosendungen. Die Feier des weltweiten Tages der psychischen Gesundheit im Kulturzentrum von Brobomit zahlreichen Betroffenen, ihren Familien sowie den lokalen und regionalen Behörden. In 8 Gesundheitszentren wurden insgesamt 3936 PaGent:innen behandelt, mit den Diagnosen Psychose (52%), Depression (30 %) und Epilepsie (10%), SonsGge (8%). In diesem Jahr (2024) planen wir größere Veränderungen, weil die Zusammenarbeit mit den Gebetscamps, die in dem Sonderprojekt entwickelt wurde, ab 2025 in Samentacom integriert werden soll (s. u.).
Yenfaabima / Burkina Faso
In Burkina Faso war und ist die Situation durch die Verschlimmerung der Sicherheitslage wesentlich schwieriger. Die Arbeit von Yenfaabima war durch die kriminellen und politisch-militärischen Unruhen im Land 2023 sehr beeinträchtigt. Die Probleme sind auch in der Stadt und in der Umgebung von Piéla, dem Ort, an dem Yenfaabima arbeitet, massiv. Viele Menschen sind nach Überfällen vom Land in die Stadt geflüchtet. Psychisch kranke Menschen und ihre Angehörigen wurden vermehrt im Zentrum von Yenfaabima aufgenommen. Die Versorgung mit Lebensmitteln war und ist noch ein erhebliches Problem. Eine aufsuchende psychiatrische Arbeit war nur eingeschränkt möglich und mit erheblichen Gefahren verbunden. Dennoch wurde (und werden) ca. 200 Patient:innen / Monat ambulant behandelt, darüberhinaus Hausbesuche durch die Agents de santé, Notfallaufnahmen im Zentrum von Yenfaabima und öffentliche Veranstaltungen zur Aufklärung über schwere psychische Erkrankungen und Epilepsie durchgeführt.
Inzwischen liegt eine staatliche Genehmigung für Fortbildungen vor, um die sich Yenfaabima über Jahre bemüht hat. Es bleibt weiterhin ein Ziel, auch Fortbildungen und Supervsionen in den Centres de Santé durchzuführen, aber die aktuelle Situation macht eine Erweiterung der Aktivitäten fast unmöglich.
Unsere Unterstützung bestand 2023 in einer Beteiligung an der Finanzierung der Stelle von Timothée Tindano und eines Teils der benötigten Medikamente, sofern sie von den Patient:innen und ihren Familien nicht bezahlt werden können. In geringem Umfang wurden von uns auch dringend notwendige technische Hilfsmittel finanziert. Wir haben unsere Unterstützung also unverändert fortgesetzt und tun dies weiterin in der Hoffnung, dass sich die Gesamtsituation vor Ort bald bessert und die psychiatrische Arbeit intensiviert werden kann.
Camppsy / Côte d ́Ivoire
Mit Unterstützung der Schmitz-Stiftungen (https://www.schmitz-stiftungen.de) haben wir 2022 mit unserer Partner-Organisation MCF-CI ein neues Projekt in der Elfenbeinküste entwickelt. Über diese Vorarbeit, insbesondere die notwendigen Erhebungen und Expeditionen zu diesen Camps, haben wir in dem Geschäftsbericht von 2022 ebenfalls ausführlich berichtet. 2023 wurde es nun umgesetzt und finanziert. Es beinhaltete eine Kooperation mit 10 Gebetscamps in der Côte d’Ivoire. Dort wurden insgesamt 100 Patient:innen behandelt. Jedem Gebetscamp war ein Agent de Santé zugeordnet, ein Team aus Psychiatern, Krankenpfleger:innen und einer Psychologin besuchte regelmäßig die Camps und legte die Behandlung fest. Zu Beginn des Projekts Patient:innen an Bäume angekettet, die meisten über viele Jahre. Nach drei Monaten Laufzeit war es möglich, alle von den Ketten zu befreien und nach 6 Monaten war über die Hälfte der Patient:innen nach Hause entlassen. Die Durchführung des Projekts war nicht einfach: Die Transportmittel erwiesen sich als reparaturanfälliger als gedacht, die Medikamentversorgung war in einer Phase unzureichend, die Voruntersuchung waren ebenso wie Evaluation nicht so umfassend und neutral wie geplant und vor allem erwies es sich als schwierig, die Nachbehandlung zu gewährleisten. Dabei ist eine gute Nachsorge die größte Herausforderung. Um sie zu bewältigen, ist es notwendig, die Gebetscamps so auszuwählen, dass von Anfang an eine Betreuung durch die Centres de Santé möglich ist, die sich zum Einen in der Nähe befinden und die zum Zweiten über Mitarbeiter:innen verfügen, die für die Behandlung von schweren psychischen Erkrankungen und Epilepsie ausgebildet sind. Das Team von Samentacom kann sich dann auf die Supervision und Organisation konzentrieren. Wir haben sehr viel bei diesem Modellprojekt gelernt und müssen nun die richtigen Schlüsse ziehen und umsetzen.
Aber nicht nur als Versuch und als Lernerfahrung, sondern auch als unmittelbare Besserung der SituaGon der Betroffenen und ihrer Angehörigen war das Projekt ein Erfolg. Als wir im März/April 2024 einige dieser Camps besuchten, begegneten wir einer bewegenden Dankbarkeit von Patient:innen, Angehörigen, Mitarbeitern des Projekts und sogar von den Leitern der Camps, die die guten Verläufe teilweise so erklärten, dass durch die Medikamente ihre Gebete viel besser zu den Patient:innen durchdrangen. Einen ausführlichen Bericht von dieser Reise finden Sie unter „Aktuelles“ auf https://mindful-change.org/.
Auch zwei afrikanische Fernsehsender haben über das Camppsy-Projekt berichtet.
Ausblick
Das Team in der Elfenbeinküste plant mit unserer Unterstützung, die Zusammenarbeit mit den Prayer Camps fortzuführen – als integrierten Bestandteil des übergeordneten Modellprojekts „Samentacom“, das wir fortsetzen wollen. Die Planung dazu ist im Gange (Stand Oktober 2024). Wir werden dafür erneut Fördermittel von einer finanzstärkeren Organisation benantragen. Derzeit warten wir auf die Beurteilung aller Daten und Abrechnungen, die wir an die Schmitz-Stiftungen geliefert haben, denen wir zu großem Dank verpflichtet sind. Sowohl die Beantragungen als auch die Bilanzierungen sind für uns mit einem erheblichen Aufwand verbunden und alles braucht sehr viel Zeit. Deshalb wird 2024 ein Übergangsjahr, in dem bei uns allerdings wesentliche Veränderungen stattfinden, über die wir möglichst zeitnah auf unserer Homepage berichten. Wir haben die Gründung eines Beirats beschlossen und er hat sich inzwischen konstituiert. Darüberhinaus haben wir 2024 begonnen, zwei weitere Projekte, eins in Kamerun und eins in Indonesien (Insel Flores), zu unterstützen. Auch diese Projekte stellen wir auf unserer Homepage vor. Die Grundidee ist die einer Startfinanzierung und ‑beratung erfolgsversprechender Projekte, die sich dann mit unserer Hilfe und evtl. der Hilfe anderer Organisationen zu Modellprojekten weiterentwickeln können. Eine umfassendere Versorgung in einem Land streben wir nicht an, wohl aber zu zeigen, dass grundsätzliche Verbesserungen möglich sind.
Dr. Michael Huppertz, 1. Vorstand MCF, (für den Vorstand), Oktober 2024
Im März/April dieses Jahres ist wieder ein Teil des Vorstandes der Mindful Change Foundation, Michael Huppertz und Mania Kroll, in die Elfenbeinküste gereist um sich vor Ort einen Eindruck über das Fortschreiten der von uns unterstützten Projekte zu machen, uns mit den lokalen Partner:innen auszutauschen und gemeinsam die nächsten Schritte zu planen.
Am 22. November 2023 veröffentlichte der ivorische Privatfernsehsender NCI eine Reportage über das CAMPPSY-Projekt mit dem Titel “Camps de prière: le combat des professionnels de la santé” und veröffentlichte sie auf dem offiziellen NCI YouTube-Kanal.
Wir möchten Ihnen zum Jahresende 2023 kurz über den Stand der Arbeit der Mindful Change Foundation berichten.
Wir freuen uns, dass wir auch dank Ihrer Hilfe unsere Arbeit für die Menschen mit schweren psychischen und epileptischen Erkrankungen in der Elfenbeinküste und Burkina Faso fortsetzen konnten.
Einen umfassenden Bericht über unsere vergangene Planung für 2023 und einen Rückblick auf das vorige Jahr 2022 finden Sie auf der Startseite.
Am 10. Oktober hat die WHO einen Bericht über die Untersuchung von 2021 und das Camppsy-Projekt in der Elfenbeinküste veröffentlicht, das von den Schmitz-Stiftungen aus dem EZ-Kleinprojektefonds und uns finanziert und mitgeplant wurde. Diese Veröffentlichung ist ein wichtiger Schritt, um die Situation der Patient:innen in den Prayer Camps international bekannt zu machen und zu zeigen wie sie verbessert werden kann.
Vom 4. bis zum 19. Mai 2023 reisten wir, Fariedeh Huppertz und Gesine Heetderks, diesmal in Begleitung zwei befreundeter Schweizer Arztkollegen, Giovanna Kissner und Jürg Skalsky, erneut in die Cote d’Ivoire. Das sozialpsychiatrische Projekt SAMENTACOM wird dieses Jahr ergänzt durch das Projekt CAMPPSY: Patientinnen und Patienten werden in sogenannten Gebetscamps aufgesucht und behandelt.
Menschen mit psychischen und epileptischen Erkrankungen in die medizinische Grundversorgung aufnehmen — SAMENTACOM
SAMENTACOM steht für Santé Mentale Communautaire, d.h. psychische Gesundheit auf Gemeindeebene. Wie in vielen armen Regionen der Welt werden auch in der Elfenbeinküste Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen oder Epilepsie kaum diagnostiziert und behandelt. Daraus entstehen leidvolle Lebensumstände für sie und ihre Familien. Das Projekt Samentacom verfolgt das Ziel, psychisch kranken Menschen eine sozialpsychiatrische Behandlung zu ermöglichen. Um dies zu erreichen, vermittelt das SAMENTACOM-Team um den Psychiater Prof. Médard Koua psychiatrische Grundkenntnisse an Ärzte und Pflegeteams regionaler Gesundheitszentren. Dort sind die neu ausgebildeten Pflegekräfte und Gesundheitshelferinnen und – helfer in der Lage, als erste und wichtigste Ansprechpartner den Betroffenen zu helfen. Die oft sehr arme ländliche Bevölkerung erfährt so Aufklärung, Unterstützung und Behandlungsmöglichkeiten, wo psychische Krankheiten bislang nicht erkannt, anders gedeutet und stigmatisiert wurden.
Das Pilotprojekt SAMENTACOM umfasst rund 10 Gesundheitszentren und wird von unserer Stiftung seit 2018 finanziert. Die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“, die das Projekt überzeugend fand, kam als zweite NGO dazu und hat 2022 mit der Finanzierung weiterer Gesundheitszentren begonnen. Sie finden weitere Informationen dazu auf unserer Website
Dieses Jahr interessierte uns ganz besonders der Verlauf des neuen Projekts mit Namen CAMPPSY. Das Pilotprojekt wird von den Schmitz-Stiftungen aus dem EZ-Kleinprojektefonds, das überwiegend aus BMZ Mitteln gespeist wird, und uns finanziert. Es macht sich zur Aufgabe, eine neue Kooperation mit sog. Gebetscamps zu beginnen, in denen viele Männer und Frauen mit psychischen Erkrankungen zu finden sind.
Zur Situation der Menschen mit psychischen Erkrankungen und Epilepsie
In der Elfenbeinküste leben viele psychisch kranke Menschen in sog. Gebetscamps. Gebetscamps sind Dörfer zwischen 100 und 500 Einwohnern, die überall im Land verteilt sind. Sie sind in der Elfenbeinküste sehr zahlreich. Bei einer psychischen Erkrankung oder einer Epilepsie werden die Betroffenen häufig von ihren Verwandten in diesen Camps gegen Zahlung einer bestimmten Geldsumme untergebracht. Die Leiter dieser Camps, auch Propheten genannt, sind einfache Leute, oft Kleinbauern, ohne schulische Kenntnisse. Sie berichteten, sie seien von Gott berufen, diese Camps zu führen. Die Propheten leben und beten mit den Bewohnern für die Kranken. Darüber hinaus werden diese mit Kräutern oder Fastenkuren behandelt, gelegentlich auch mit Schlägen, um böse Geister auszutreiben. Wenn Kranke aggressiv sind oder weglaufen wollen, werden sie – manchmal über mehrere Jahre – an Bäume im Freien angekettet. Eine psychiatrische Behandlung nach dem medizinischen Modell ist weitgehend unbekannt und wird zum Teil auch misstrauisch betrachtet.
Das Projekt CAMPPSY
Ziel des Projektes CAMPPSY ist es, psychisch kranke Menschen, die in solchen Gebetscamps untergebracht sind, einer sozialpsychiatrischen Behandlung zuzuführen. Diese Menschen sind für eine Behandlung nur erreichbar, wenn es gelingt, die Leiter der Camps zur Zusammenarbeit zu gewinnen und die Patienten und ihre Angehörigen über psychische Erkrankungen aufzuklären. Hierauf ist das Projekt ausgerichtet: In zehn solcher Gebetscamps sollen etwa 100 Patienten eine Behandlung erhalten. Erreicht werden soll, dass sie so weit gesunden, dass sie wieder in ihren Familien leben können und die angeketteten Patientinnen und Patienten von ihren Ketten befreit werden und sich wieder frei im Alltag bewegen können. Die weitere Versorgung kann dann von Gesundheitszentren, die dafür ausgebildet sind, übernommen werden.
Auf unserer Reise wollten wir uns ein Bild machen über die praktische Arbeit vor Ort des CAMPPSY Teams, das vom ivorischen Psychiater Médard Koua , Professor für Psychiatrie an der Universität von Bouaké, zusammengestellt wurde. Wir konnten die Tätigkeit des Teams in sieben dieser Gebetscamps beobachten, begleiten und beraten. Wir haben vier Gebetscamps in der Gegend von Bouaké und drei Camps in der Gegend der 6 Stunden und 357 km entfernt liegenden Stadt Soubré besucht.
Wir trafen ein sehr motiviertes Team an, das bereit war, mit uns über die begonnene Arbeit zu diskutieren und uns in die Zentren der praktischen Arbeit mitzunehmen. Das Team bestand aus Psychiatern, Pflegekräften, Pharmazie- Assistenzen, Soziologen und Agents de Santé (Personen, die über eine elementare Ausbildung für psychische Erkrankungen, vor allem aber gute Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten verfügen). Die Wege zu den Gebetscamps waren extrem schlecht, insbesondere nach Regengüssen, eine Herausforderung für Fahrer und Begleiter. Wir wurden gründlich durchgeschüttelt.
Wir konnten nur christlich geführte Camps besuchen. Muslimische oder traditionelle Camps sind in der Elfenbeinküste ebenfalls zu finden. Doch ist es bisher mit diesen Camps nicht zu einer Kooperation gekommen.
Von den Propheten der Camps wurden wir freundlich begrüßt mit einer kleinen Zeremonie, bei der man Neuigkeiten austauschen und Fragen stellen konnte. Es wurden auch Bitten um Unterstützung bei Nahrungsmitteln oder beim Bau eines Brunnens geäußert. Nicht alle Camps hatten sauberes Wasser. Die Hütten waren oft sehr einfach, manchmal auch sehr ärmlich, die Wände aus Lehm und zusammengesammeltem Holz, die Dächer aus Palmblättern und schwarze Plastikplanen konstruiert, um die heftigen Regengüsse aufzuhalten.
Die Sprechstunden fanden meist im Freien, manchmal auch in einer einfachen Halle statt, die sonst für Gottesdienste und Versammlungen genutzt wurde. Kinder spielten in der Nähe, manchmal gesellten sich auch andere Dorfbewohner dazu, um in einem gewissen Abstand zu schauen, was da geschieht. Es waren auch Angehörige waren dabei, die mit den Patienten im Camp leben und sich um sie kümmerten, sie mit Nahrung und den verschriebenen Medikamenten versorgten.
Die Propheten klagten jedoch auch darüber, dass psychisch kranke Menschen mit der Bitte um Heilung in die Camps gebracht würden, die Angehörigen sich aber dann aus dem Staub machten, ohne weiter für das kranke Familienmitglied zu sorgen. Auch die Wiederaufnahme der Genesenen in deren Dorf werde manchmal boykottiert. Gelegentlich, so wurde uns berichtet, hätten die Dorfbewohner die Felder des Kranken während dessen Aufenthalt im Gebetscamp unter sich aufgeteilt.
Wir sahen viele psychisch schwer erkrankte Menschen, die dringend einer Behandlung bedurften. Auch waren einige seit Jahren angekettet. In den Camps, wo das Team schon begonnen hatte zu arbeiten, berichteten Patienten und Angehörige über erstaunliche Verbesserungen der Krankheitssymptome. Mehrere Patienten konnten von ihren Ketten befreit werden.
Die meisten Gespräche wurden in Baoulé geführt, einer Sprache, die ein großer Teil der ivorischen Bevölkerung spricht. Nicht alle sind mit der offiziellen Landessprache Französisch vertraut. Der Arzt übersetzte einiges. Aber auch das dort gesprochene Französisch konnten wir nicht immer verstehen und waren dann auf unsere Beobachtungen angewiesen.
Die Aufklärung darüber, dass es sich bei den Symptomen der Patienten um eine Krankheit und nicht um Besessenheit durch böse Geister handelt, scheint inzwischen doch einiges zu bewirken. Für die Angehörigen, oft besorgte und mit ihren Kindern leidende Mütter, Ehegatten oder andere – meist weibliche – Verwandte war es auch ein Hoffnungsschimmer, dass eine Gesundung oder zumindest eine Verbesserung der Symptome möglich ist und es einen Weg aus der völligen Aussichtslosigkeit gibt. Wir hoffen sehr, dass dieses Projekt mehr und mehr Menschen überzeugt.
Beeindruckt hat uns ein Gottesdienst, der nahe eines Gebetscamps stattfand. Wir wurden gebeten teilzunehmen, weil dort auch für die psychisch kranken Menschen gebetet werden sollte. Wir fanden uns inmitten vieler Menschen wieder, die tanzten, sangen und beteten und uns lachend begrüßten. Ihre Spiritualität hatte etwas sehr Fröhliches, Zugewandtes. Nach dem Gottesdienst kamen einige Hilfesuchende mit psychischen Problemen in die Sprechstunde des CAMPPSY Teams auf dem Camp-Gelände.
Mangel an Medikamenten – ein wiederkehrendes Problem
Die Lieferung von Medikamenten stellte ein akutes Problem dar. Phenobarbital, ein häufig verwendetes Medikament gegen Epilepsie, konnte über eine gewisse Zeit nicht geliefert werden. Dies ist ein Medikament, das normalerweise von der Nationalen Pharmaziebehörde geliefert wird. Eine Umstellung auf Carbamazepin, ein bei uns gebräuchliches Antiepileptikum, war für viele Patienten zu teuer, weil die Handhabung eines von uns finanzierten Sozialfonds sich in der Praxis immer wieder als sehr schwierig erweist. Es gab logistische Probleme bei der Medikamentenlieferung. Action Medeor, unsere bewährte deutsche Partner-NGO, die SAMENTACOM mit Medikamenten zu günstigen Preisen beliefert, konnte selbst zeitweilig bestimmte Medikamente nicht auf dem Markt beschaffen. Aber es gab auch logistische Lieferprobleme vor Ort, sodass unsere Projektpartner aus verschiedenen Gründen zeitweise nicht über genügend Medikamente verfügten. Helfer vor Ort baten händeringend um finanzielle Unterstützung, damit die Behandlung Schwerkranker fortgesetzt werden konnte.
Wir mussten feststellen, dass es Behandlungsabbrüche aus finanzieller Not gibt. Örtliche Apotheken verfügen zwar über geeignete Medikamente, doch sind diese für die Patienten in der Regel nicht bezahlbar. Wir konnten akut aushelfen, waren aber sehr erschüttert darüber, wie groß die Not ist. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass größere Vorräte für solche Krisenzeiten geschaffen werden. Unsere Stiftung wird dafür weiter finanzielle Unterstützung leisten.
Ermutigen und sichtbar werden: Selbsthilfegruppe für Menschen mit psychischen Erkrankungen
Sehr gefreut haben wir uns über einen Besuch in Brobo nahe Bouaké, wo sich eine seit einem Jahr bestehende Selbsthilfegruppe von Patienten mit psychischen Erkrankungen einmal monatlich trifft. Einige Angehörige begleiteten die Patienten und es fand ein reger Austausch statt. Die Gruppe dient dazu, dass die Patienten sich gegenseitig unterstützen und ihrer Diskriminierung entgegenwirken. Diese Gruppe wird von unseren Partnern unterstützt und begleitet. Derartige Selbsthilfegruppen sind an mehreren Orten geplant. Auch die WHO empfiehlt die Bildung dieser Gruppen, um die gesellschaftliche Position der Betroffenen und der Angehörigen zu stärken.
Weiterentwicklung in der Elfenbeinküste: Wachsende Sensibilisierung für psychische Gesundheit in der Bevölkerung
Inzwischen hat unsere ivorische Partner- NGO Mindful Change-CI bei den politischen Stellen einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht. Professor Koua wurde 2022 staatlicherseits zum koordinierenden Direktor des „Nationalen Programms für Psychische Gesundheit“ in der Côte d’Ivoire ernannt. Seine Institution ist jedoch bislang finanziell schwach ausgestattet.
In Abidjan konnten wir aber an einer vielbeachteten Konferenz mit Regierungsvertretern, Vertretern der WHO und „Ärzte ohne Grenzen“ teilnehmen. Dort wurden erste Schritte für den Zugang von Frauen und Müttern mit psychischen Problemen zu einer kompetenten psychiatrischen Versorgung geplant, und um finanzielle Unterstützung gebeten. Es besteht begründete Hoffnung, dass der Staat sich durch diese wichtige Arbeit unserer Projektpartner zunehmend seiner Verantwortung für Menschen mit psychischen Problemen bewusst wird.
Insgesamt waren wir beeindruckt von dem Engagement des ivorischen Projektteams. Zwar funktioniert nicht alles so, wie wir es uns vorstellen, aber der Spirit, etwas für diese bisher unbeachtete, gesellschaftlich ausgeschlossene und stigmatisierte Gruppe von Patienten erreichen zu wollen, war deutlich spürbar. Wir sahen einen lebendigen Austausch der oft noch jungen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die noch viel vorhaben, um die Integration psychischer Gesundheit in der landesweiten Grundversorgung voranzubringen. Erwähnenswert ist auch, dass der Psychiater Dr. Djo Bi Djo, Koordinator der medizinischen Aktivitäten von SAMENTACOM, bereits in das Nachbarland Mali eingeladen wurde, um das Projekt dort vorzustellen und den Beginn einer sozialpsychiatrischen Versorgung in Mali zu initiieren.
Wir freuen, mit Ihrer Hilfe unser Partner- Team in diese Arbeit für Menschen mit Epilepsie und psychischen Erkrankungen weiter zu unterstützen und danken Ihnen sehr herzlich für die bereits empfangenen Spenden!
Dr. Gesine Heetderks Ärztin für Neurologie und Psychiatrie / Psychotherapie
Dr. Fariedeh Huppertz Ärztin für Psychotherapeutische Medizin
Wir möchten Euch von unserer Reise in die Elfenbeinküste im Juni 2022 berichten und euch über den Stand des Projektes SAMENTACOM (Santé mentale communautaire – Gemeindebasierte psychische Gesundheit) informieren, das unsere Stiftung mit Eurer Hilfe finanziert und fachlich berät.
Die Situation der Menschen mit einer chronischen psychischen Erkrankung oder Epilepsie ist in Westafrika weiterhin alarmierend. Bislang werden die meisten Erkrankten in sogenannten Gebetscamps aufgenommen, in denen sie keinerlei medizinische Versorgung erhalten. Sie werden dort mit Gebeten und traditionellen Methoden wie z. B. zwangsweise Fasten, Waschungen oder Mixturen, die sie zum Erbrechen bringen, behandelt. Etliche Betroffene, ob jünger oder älter, Frau oder Mann, werden angekettet, einige über Jahre bei ausbleibendem Erfolg der traditionellen Heilungsversuche.
Das Pilotprojekt SAMENTACOM für gemeindebasierte ambulante psychiatrische Behandlung
Das Modellprojekt SAMENTACOM wird von Prof. Médard Asseman Koua, einem ivorischen Psychiatrieprofessor von der Universität in Bouaké, geleitet. Es setzt sich zum Ziel, in den Einzugsgebieten von mehr als zehn Gesundheitszentren des Landes modellhaft eine gemeindenahe psychiatrische Versorgung aufzubauen. In den Gesundheitszentren werden die wichtigsten organischen Erkrankungen behandelt. Aber es gibt dort keine Behandlung psychischer Erkrankungen. Im Rahmen des Projekts wurden Krankenpfleger und –pflegerinnen sowie Gesundheitshelfer und ‑helferinnen (Agents de Santé) vom SAMENTACOM-Team ausgebildet. Die komprimierte Grundausbildung in Diagnostik und Therapie umfasst die häufigsten psychiatrisch-neurologischen Krankheitsbilder. Die Ausbildung ist so konzipiert, dass mit möglichst geringem Aufwand maximal viele Menschen behandelt werden können – ein wichtiges Prinzip in Ländern des Globalen Südens. Nach der Grundausbildung bieten die geschulten Pflegekräfte im Gesundheitszentrum Sprechstunden für Menschen mit psychischen Erkrankungen und Epilepsie an.
Ohne Außeneinsätze auf dem Land werden die erkrankten Menschen nicht gefunden
Wesentlich für das Gelingen des Projekts ist das aktive Aufsuchen der Patienten im Umland. So fahren die Gesundheitshelfer und –helferinnen z.B. auf Motorrädern in die Dörfer und Gebetscamps, um psychisch kranke oder an Epilepsie erkrankte Menschen zu finden. Oft erst durch diesen aktiven Einsatz können die Betroffenen einer psychiatrisch-neurologischen Behandlung zugeführt werden. Die Sprechstunden schließen in der Regel die Angehörigen mit ein.
Wiedersehen nach zwei Jahren — das Netzwerk für sozialpsychiatrische Arbeit wächst
Wegen der Covid-Pandemie konnten wir zwei Jahre nicht vor Ort sein. Umso erfreulicher war es für uns zu sehen, dass sich SAMENTACOM in der Zwischenzeit weiterentwickelt hat. Die Überzeugung, dass psychisch kranke Menschen und Menschen mit Epilepsie Hilfe bekommen müssen, hat sich inzwischen auch bei den offiziellen Stellen durchgesetzt, die wir besucht haben. Davon konnten wir uns im Gespräch mit der Gesundheitsdirektorin des Kreises Bouaké, in dem das Projekt begann, überzeugen. Sie war sehr zugewandt und sagte uns, dass sie erst durch die Informationen von SAMENTACOM und von dessen Initiator Prof. Koua von den Missständen und Menschenrechtsverletzungen erfahren habe, denen die Kranken ausgesetzt sind. Das habe sie sehr erschüttert. Anwesend war bei diesem Gespräch auch der örtliche Vertreter der WHO.
Spannungsfeld bei begrenzten Ressourcen: Zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Netzwerken und Behandlungsqualität vor Ort
Die psychiatrisch ausgebildeten Pflegekräfte der Gesundheitszentren werden vom SAMENTACOM-Team aktuell vier bis sechsmal im Jahr vor Ort beraten und in gemeinsamen Sprechstunden supervidiert und fortgebildet. Hinzu kommen häufige Telefonate mit Professor Koua und seinem Team. Dem regelmäßigen Austausch zwischen den Pflegekräften und den Psychiaterinnen und Psychiatern des SAMENTACOM-Teams kommt große praktische Bedeutung zu. Er ist auf Grund des Mangels an Supervisoren, der Infrastruktur und der Kosten gleichzeitig der schwierigste Teil des Projekts. Wir setzen uns sehr für einen Ausbau dieser Tätigkeit ein.
Neben dieser sozialpsychiatrischen Arbeit vernetzen sich Professor Koua und seine Kollegen und Kolleginnen seit Jahren in Bouaké und der ganzen Elfenbeinküste mit Ärztinnen und Ärzten, Vertretern des staatlichen Gesundheits- und Sozialwesens, Menschenrechts- und Kirchengruppen und anderen NGOs, die für verwandte Ziele arbeiten.
Fachtag der Gesundheitszentren, die von SAMENTACOM betreut werden: Synergien, Schwachstellen und Erfolge im Austausch untereinander
Während unseres Besuches hatten unsere Partner mit Unterstützung des Gesundheitsministeriums eine Tagung in Bouaké organisiert.
Es wurde über die praktische Arbeit in den von SAMENTACOM betreuten Gesundheitszentren berichtet und über Herausforderungen und Perspektiven diskutiert. Anwesend waren auch Vertreter und Vertreterinnen der Regionalverwaltung, der Gesundheitsbehörde sowie der ärztliche Vertreter der WHO. Auch zwei Expertinnen von ivorischen NGOs informierten über ihre menschenrechtliche Arbeit und Erfahrung.
An dieser Tagung nahm auch der Repräsentant von Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières) in Bouaké teil. Er war durch SAMENTACOM auf die gemeindepsychiatrische Arbeit aufmerksam geworden und hatte dieses überzeugend gefunden. Ärzte ohne Grenzen stellt nun als zweite Organisation neben MCF-Deutschland finanzielle und personelle Hilfen zur Verfügung. Sieben zusätzliche Gesundheitszentren behandeln nun Menschen mit psychischen oder epileptischen Erkrankungen, wurden von Professor Kouas SAMENTACOM-Team ausgebildet und fachlich betreut, während Ärzte ohne Grenzen die Finanzierung übernimmt.
Auch zwei Journalisten eines neu gegründeten, auf Gesundheitsthemen spezialisierten Internet-Senders nahmen an der Tagung teil, machten Interviews und sammelten Statements, um diese zu verbreiten.
Netzwerkarbeit für das Recht auf Medikamente und Versorgung
Wir konnten uns davon überzeugen, wie sehr sich unsere Partnerorganisation dabei engagiert, die Not der Menschen mit psychischen Erkrankungen in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen und dabei auch den Staat in die Pflicht zu nehmen.
Ein erster geforderter Schritt ist die kostenlose Abgabe der nötigen Medikamente für psychisch kranke Menschen, analog der bestehenden kostenlosen Abgabe von AIDS-Medikamenten. Denn die Armut der Menschen führt immer wieder zu Behandlungsabbrüchen.
Erfreulich ist es und zugleich ein großer Fortschritt, dass unsere Partner es inzwischen geschafft haben, mit Hilfe der deutschen Hilfsorganisation MEDEOR und der staatlichen Stelle für den Einkauf und die Verteilung von Medikamenten (NPSP) ausreichend Medikamente einkaufen zu können. So kommt es nicht mehr zu Unterbrechungen bei der Versorgung mit Medikamenten, wie es früher immer wieder der Fall gewesen ist.
Unterwegs: Das Gesundheitszentrum Brobo
In einem Distrikt in der Nähe von Bouaké, der die Stadt Brobo und 64 Dörfer umfasst, arbeiten im Gesundheitszentrum ein für die psychiatrischen Sprechstunden zuständiger Pfleger und zwei Gesundheitshelfer (Agents de Santé). Sie versorgen in ihrem Einzugsgebiet die Menschen mit psychischer Erkrankung oder Epilepsie. Wir fuhren mit auf die Dörfer, besuchten Patientinnen und Patienten mit psychotischen oder anderen Erkrankungen, die unter regelmäßiger Medikation wieder im Kreis ihrer Familie oder Bekannten leben. Durch eigene Arbeit können sie nun für sich sorgen oder das Familieneinkommen unterstützen.
Wir sahen aber auch einige kranke Menschen, die aufgrund finanzieller Schwierigkeiten nicht weiterbehandelt wurden und nun ein sehr isoliertes, ärmliches Leben in einer Hütte des Dorfes führten. Hatten ihre Angehörigen aus nicht eindeutigen Gründen nicht mehr für die Medikamente gezahlt, wurde die Beendigung der Medikamentenabgabe von manchen Mitarbeitern der Gesundheitszentren als gerecht und logische Folge empfunden. Hier sind Professor Koua und wir uns aber einig, dass das nicht im Sinne des Projekts ist. Wir stellen in solchen Fällen die Medikamente auch kostenlos zur Verfügung. Sie sind eigentlich preiswert und auch für ärmere Familien bezahlbar. Es ist sehr schwer, zu beurteilen, wann eine Zahlung wirklich nicht mehr möglich ist und wann es eine Frage der Motivation ist, vor allem bei langfristigen Behandlungen.
Bei unserem Besuch erzählten manche Angehörigen, dass in dieser Gegend die Ernten wegen Regenmangel durch den Klimawandel immer schlechter wurden – sicher ein Problem, das auch künftig eine Rolle spielen wird.
Wir begegneten auch Angehörigen, deren Mitgefühl und Fürsorge für ihre kranken Verwandten sehr begrenzt war. Man habe selbst oft nicht genug zum Essen, sagten sie uns. Wenn etwas übrig sei, gebe man es den Kranken, sonst nicht.
In einem der Dörfer zeigten uns die Gesundheitshelfer in einer Hütte ein ausgemergeltes 14-jähriges Mädchen, kaum ansprechbar, das aussah wie eine Sechsjährige. Der Vater sei Alkoholiker und kümmere sich nicht, die Mutter sei geflüchtet. Das Kind wies aufgrund einer Epilepsie gravierendste Entwicklungsrückstände auf. Hier konnte SAMENTACOM helfen, das Kind einer Behandlung und einer vorläufigen Pflegefamilie zuzuführen.
An diesem Tag wurden wir begleitet von der tatkräftigen Sozialarbeiterin des Gesundheitszentrums Brobo, die zuständig für diesen weitläufigen ländlichen Distrikt ist. Sie klagte, dass sie die Armut und die Not der Menschen sehe, sie auch aufsuche, aber dass sie über keinerlei staatliches Budget verfüge. Sie könne nur mit den Menschen reden, reden, reden und versuchen, Konflikte zu besprechen, Angehörige zu motivieren, sich zu kümmern. Aber damit seien ihre Möglichkeiten auch erschöpft – das mache ihre Arbeit so schwer.
Wir nahmen in zwei Dörfern, in denen Menschen mit psychischer oder epileptischer Erkrankung lebten, an Dorfversammlungen teil. Die Gesundheitshelfer klärten die Versammelten über die psychischen Erkrankungen auf, es konnten Fragen gestellt oder über Beobachtungen berichtet werden. Zwar herrscht immer noch die traditionelle Vorstellung vor, dass ein psychisch kranker Mensch von einem bösen Geist besessen ist. Aber es wächst doch auch das Interesse an den Hilfsmöglichkeiten der modernen Medizin, insbesondere wenn Menschen die Erfahrung machen, dass sie hilfreich ist.
Besuch im Gebetscamp Bethel
ir besuchten ein Gebetscamp im Einzugsgebiet des Gesundheitszentrums Brobo, das neben anderen Kranken auch 11 Frauen und Männer mit psychischer Krankheit oder Epilepsie beherbergte. Der evangelikale Leiter, der sich als Prophet Jeremiah vorstellte, empfing uns in der überdachten Gebetshalle. Wir durften uns als Gruppe in seiner Begleitung im Camp umsehen. Die Patienten und Patientinnen schliefen auf dem Fußboden in kleinen, nicht ausgestatteten Hütten.
Wir sahen fünf angekettete Menschen: ein wütend gestikulierender, schreiender Mann, dem sich niemand näherte; ein apathisch wirkender junger Mann mit Verdacht auf Epilepsie; eine junge Frau; ein mit sich sprechender, manieriert gestikulierender junger Mann und ein Siebzehnjähriger, der in schlechtem Allgemeinzustand in der Hütte lag. Er hatte seine Vorbereitung für die Abschlussprüfung der Schule wegen der Erkrankung unterbrochen. Seine Eltern hatten ihn aus Not in das Gebetscamp gebracht, so wie die meisten Kranken von ihren eigenen Familien in der Hoffnung auf Heilung dorthin gebracht werden. Professor Koua bat Jeremiah, die Angeketteten kostenlos in seiner nahegelegenen Ambulanz untersuchen zu dürfen. Dieser antwortete, er sei prinzipiell zur Kooperation bereit, müsse jedoch zuvor die Angehörigen fragen. Auch war der Leiter durch andere Anwesende informiert, dass das Gefangenhalten im Gebetscamp nicht gesetzeskonform ist und ihm Probleme bereiten könne. Am nächsten Tag wurde uns auf Anfrage mitgeteilt, dass die Angehörigen ihre Zustimmung verweigert hätten. Die Mitarbeiter von SAMENTACOM werden sich mit dieser Antwort nicht zufriedengeben und weiter versuchen, den Leiter des Camps zu einer wirklichen Kooperation zu bewegen. Das könnte ein langer Weg sein.
Der Leiter des Gebetscamps erzählte uns, es gebe Menschen, die seien psychisch krank, andere seien von bösen Geistern besessen. Auf die Frage, wie er das unterscheiden könne, berief Jeremiah sich auf seine von Gott geschenkte Gabe. Er wisse den Unterschied einfach. In uns sträubte sich etwas angesichts dieser Selbstgewissheit. Aber Prof. Koua blieb geduldig und erklärte ihm, dass seine eigenen Augen und die Augen des Propheten die Dinge unterschiedlich sehen.
Es gibt in der Elfenbeinküste viele Gebetscamps. Sie sind nirgends registriert und brauchen keine formale Erlaubnis, um Menschen zu behandeln. Im Prinzip kann jeder ein Gebetscamp gründen. Für die Angehörigen, die sich durch die Krankheit ihrer Familienmitglieder überfordert fühlen, ist ein Gebetscamp der nahe liegende Ausweg.
Will man sich einen Überblick darüber verschaffen, wo und wie in der Elfenbeinküste psychisch kranke Menschen leben, müssen die Gebetscamps erfasst werden. In einer von unserer Stiftung finanzierten Untersuchung wurden 2021 im ganzen Land 550 Gebetscamps gefunden, in denen sich psychisch kranke Menschen aufhalten. Die Gebetscamps werden vielfach von christlich-evangelikalen, aber auch muslimischen oder naturreligiösen Heilern geleitet. Wir gehen davon aus, dass es in der Elfenbeinküste noch viel mehr als die genannten Gebetscamps gibt als jene, die in der Untersuchung gefunden wurden.
Besuch der Psychiatrischen Universitätsklinik Bouaké
Wir besuchten auch die psychiatrische Abteilung der Universitätsklinik in Bouaké. Die Klinik dient für das Projekt SAMENTACOM als Ergänzung der ambulanten Versorgung in seltenen Fällen. Die Ausstattung ist extrem einfach, dabei sauber. Hier werden maximal 20 Patientinnen und Patienten behandelt, bei denen eine ambulante Behandlung nicht ausreicht. Die Behandlungszeiten sind möglichst kurz und sollten laut Prof. Koua acht Tage nicht überschreiten.
Während der Behandlung wird auf ausreichende Ernährung und Hygiene geachtet. Eine freundliche Köchin kocht für die Patienten, damit sie auch körperlich in einer guten Verfassung sind.
Die sanitären Einrichtungen, maroden Elektroleitungen und Außenwände wurden renoviert. Unsere Stiftung hatte die Renovierung über eine Sonderspende finanziert.
Liebe Freundinnen und Freunde unseres Projekts! Einige von euch hatten für die Renovierung der damals heruntergekommenen psychiatrischen Klinik gespendet.
Wir danken allen Spenderinnen und Spendern nochmals sehr herzlich für diese Hilfe!
Resumée
Wir sind mit vielen und reichen Eindrücken von unserer Reise zurückgekommen. Will man ein Resümee ziehen, dann sind es vor allem diese Herausforderungen, die wir für die Zukunft sehen:
• An erster Stelle muss es darum gehen, die staatlichen Stellen dazu zu bringen, ihre Verantwortung gegenüber psychisch erkrankten Menschen wahrzunehmen und entsprechende finanzielle Mittel bereitzustellen, so dass die psychiatrische Versorgung vor Ort von ausländischen Geldflüssen unabhängig wird.
• Zweitens muss noch viel psychosoziale Überzeugungsarbeit geleistet werden, damit die Menschen mit psychischen Erkrankungen und Epilepsie dort, wo sie leben, unterstützt werden und Teil der Gemeinschaft bleiben können.
• Schließlich soll das Modellprojekt durch seine Arbeit für die betroffenen Menschen und ihre Familien überzeugen. Dazu gehört, dass die Finanzierung der notwendigen Medikamente auch für die Ärmsten in unserem Projekt gesichert ist. Dafür stellen wir Gelder bereit. Deshalb setzen wir uns auch entschieden dafür ein, dass Behandlungen fortgesetzt werden, auch wenn die Patienten keine Mittel mehr haben. Das ist elementar für ein Projekt, das wir finanzieren.
• Die psychiatrisch tätigen Pflegekräfte und Gesundheitshelfer sollen vor Ort durch regelmäßige Supervision und Beratung durch das SAMENTACOM-Team kompetenter werden.
• Professor Koua ist mit großem persönlichem Engagement für das SAMENTACOM-Projekt im Einsatz. Die Behandlung der Patienten, permanente Erreichbarkeit für Rücksprachen am Mobilphone, universitäre Lehre, Ausbildung und Supervision sowie Netzwerken mit unterschiedlichen Gruppen gehören zu seinem Tagesgeschäft. Prof. Koua ist einer der wenigen ivorischen Psychiater und Psychiaterinnen, die sich für eine Versorgung der Menschen in Gebieten außerhalb von Abidjan, der einzigen Millionenstadt des Landes, einsetzen. Er kennt die Misere von Unterversorgung und Falschbehandlung der Betroffenen und weiß um die riesige Kluft zu einer gut funktionierenden Gemeindepsychiatrie. Um in der Elfenbeinküste den Aufbau der sozialpsychiatrischen Versorgung voranzutreiben, braucht es dort dringend weitere Mitstreiter und Mitstreiterinnen.
Allen Freundinnen und Freunden unseres Projekts noch einmal einen herzlichen Dank für euer Interesse, eure Spenden und Unterstützung auf dem Weg!
Dr. Gesine Heetderks und Dr. Fariedeh Huppertz
Die Untersuchung zeigt auf, wo psychisch Erkrankte in der Elfenbeinküste zu finden sind und bietet eine wichtige Grundlage für die Erarbeitung einer umfassenden Gesundheitsversorgung und für ein stärkeres Engagement für die Rechte der Betroffenen
Die am 24. November 2021 veröffentlichte wissenschaftliche Studie mit dem Titel “Survey of non-conventional mental health care facilities in Côte d’Ivoire: first stage” zeigt auf, wo sich Patient:innen mit psychischen und epileptischen Erkrankungen sowie psychosozialen Behinderungen in der Elfenbeinküste (und vermutlich auch in anderen Kändern Westafrikas) tatsächlich befinden.
Die Untersuchung ist damit eine wichtige Grundlage für die Entwicklung einer realistischen und finanzierbaren psychiatrischen Versorgung.
Der Artikel liefert eine Typologie von vier Arten nicht-konventioneller psychiatrischer Versorgungseinrichtungen in Côte d’Ivoire, darunter christliche ‘Prayer Camps’, traditionelle Heilzentren, Phytotherapiezentren und Roqya-Zentren. Untersucht wurden ihre administrative Verankerung, die Qualifikation der Einrichtungsleiter sowie ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit konventionellen psychosozialen Versorgungszentren. Die 541 Zentren, die in die Untersuchung einbezogen wurden, sind weder staatlich registriert oder zugelassen noch werden sie in irgendeiner Weise kontrolliert, aber eine beträchtliche Anzahl der nicht-konventionellen Einrichtungen äußerte den Wunsch oder die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit psychiatrischen Einrichtungen.
In einer zweiten Phase will MCF mit den Kolleg:innen in der Elfenbeinküte genauer untersuchen, was in diesen Camps geschieht und eine Kooperation mit einigen dieser nicht-konventionellen Zentren starten und evaluieren.
Die Untersuchungen werden über eine Sonderspende finanziert. MCF wird einen Antrag bei einer Unterorganisation der GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) stellen, bei der MCF inzwischen akkreditiert ist.
Koua, A.M., Djo Bi Djo, F., Kouadio, R.N. et al. Survey of non-conventional mental health care facilities in Côte d’Ivoire: first stage. Int J Ment Health Syst15, 83 (2021). https://doi.org/10.1186/s13033-021–00506‑7