Hier finden Sie den Geschäftsbericht 2020–2021 der Mindful Change Foundation.
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Die Situation der Menschen mit einer chronischen psychischen Erkrankung oder Epilepsie ist in Westafrika weiterhin alarmierend. Bislang werden die meisten Erkrankten in sogenannten Gebetscamps aufgenommen, in denen sie keinerlei medizinische Versorgung erhalten. Sie werden dort mit Gebeten und traditionellen Methoden wie z. B. zwangsweise Fasten, Waschungen oder Mixturen, die sie zum Erbrechen bringen, behandelt. Etliche Betroffene, ob jünger oder älter, Frau oder Mann, werden angekettet, einige über Jahre bei ausbleibendem Erfolg der traditionellen Heilungsversuche.
Das Pilotprojekt SAMENTACOM für gemeindebasierte ambulante psychiatrische Behandlung
Das Modellprojekt SAMENTACOM wird von Prof. Médard Asseman Koua, einem ivorischen Psychiatrieprofessor von der Universität in Bouaké, geleitet. Es setzt sich zum Ziel, in den Einzugsgebieten von mehr als zehn Gesundheitszentren des Landes modellhaft eine gemeindenahe psychiatrische Versorgung aufzubauen. In den Gesundheitszentren werden die wichtigsten organischen Erkrankungen behandelt. Aber es gibt dort keine Behandlung psychischer Erkrankungen. Im Rahmen des Projekts wurden Krankenpfleger und –pflegerinnen sowie Gesundheitshelfer und ‑helferinnen (Agents de Santé) vom SAMENTACOM-Team ausgebildet. Die komprimierte Grundausbildung in Diagnostik und Therapie umfasst die häufigsten psychiatrisch-neurologischen Krankheitsbilder. Die Ausbildung ist so konzipiert, dass mit möglichst geringem Aufwand maximal viele Menschen behandelt werden können – ein wichtiges Prinzip in Ländern des Globalen Südens. Nach der Grundausbildung bieten die geschulten Pflegekräfte im Gesundheitszentrum Sprechstunden für Menschen mit psychischen Erkrankungen und Epilepsie an.
Ohne Außeneinsätze auf dem Land werden die erkrankten Menschen nicht gefunden
Wesentlich für das Gelingen des Projekts ist das aktive Aufsuchen der Patienten im Umland. So fahren die Gesundheitshelfer und –helferinnen z.B. auf Motorrädern in die Dörfer und Gebetscamps, um psychisch kranke oder an Epilepsie erkrankte Menschen zu finden. Oft erst durch diesen aktiven Einsatz können die Betroffenen einer psychiatrisch-neurologischen Behandlung zugeführt werden. Die Sprechstunden schließen in der Regel die Angehörigen mit ein.
Wiedersehen nach zwei Jahren — das Netzwerk für sozialpsychiatrische Arbeit wächst
Wegen der Covid-Pandemie konnten wir zwei Jahre nicht vor Ort sein. Umso erfreulicher war es für uns zu sehen, dass sich SAMENTACOM in der Zwischenzeit weiterentwickelt hat. Die Überzeugung, dass psychisch kranke Menschen und Menschen mit Epilepsie Hilfe bekommen müssen, hat sich inzwischen auch bei den offiziellen Stellen durchgesetzt, die wir besucht haben. Davon konnten wir uns im Gespräch mit der Gesundheitsdirektorin des Kreises Bouaké, in dem das Projekt begann, überzeugen. Sie war sehr zugewandt und sagte uns, dass sie erst durch die Informationen von SAMENTACOM und von dessen Initiator Prof. Koua von den Missständen und Menschenrechtsverletzungen erfahren habe, denen die Kranken ausgesetzt sind. Das habe sie sehr erschüttert. Anwesend war bei diesem Gespräch auch der örtliche Vertreter der WHO.
Spannungsfeld bei begrenzten Ressourcen: Zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Netzwerken und Behandlungsqualität vor Ort
Die psychiatrisch ausgebildeten Pflegekräfte der Gesundheitszentren werden vom SAMENTACOM-Team aktuell vier bis sechsmal im Jahr vor Ort beraten und in gemeinsamen Sprechstunden supervidiert und fortgebildet. Hinzu kommen häufige Telefonate mit Professor Koua und seinem Team. Dem regelmäßigen Austausch zwischen den Pflegekräften und den Psychiaterinnen und Psychiatern des SAMENTACOM-Teams kommt große praktische Bedeutung zu. Er ist auf Grund des Mangels an Supervisoren, der Infrastruktur und der Kosten gleichzeitig der schwierigste Teil des Projekts. Wir setzen uns sehr für einen Ausbau dieser Tätigkeit ein.
Neben dieser sozialpsychiatrischen Arbeit vernetzen sich Professor Koua und seine Kollegen und Kolleginnen seit Jahren in Bouaké und der ganzen Elfenbeinküste mit Ärztinnen und Ärzten, Vertretern des staatlichen Gesundheits- und Sozialwesens, Menschenrechts- und Kirchengruppen und anderen NGOs, die für verwandte Ziele arbeiten.
Fachtag der Gesundheitszentren, die von SAMENTACOM betreut werden: Synergien, Schwachstellen und Erfolge im Austausch untereinander
Während unseres Besuches hatten unsere Partner mit Unterstützung des Gesundheitsministeriums eine Tagung in Bouaké organisiert.
Es wurde über die praktische Arbeit in den von SAMENTACOM betreuten Gesundheitszentren berichtet und über Herausforderungen und Perspektiven diskutiert. Anwesend waren auch Vertreter und Vertreterinnen der Regionalverwaltung, der Gesundheitsbehörde sowie der ärztliche Vertreter der WHO. Auch zwei Expertinnen von ivorischen NGOs informierten über ihre menschenrechtliche Arbeit und Erfahrung.
An dieser Tagung nahm auch der Repräsentant von Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières) in Bouaké teil. Er war durch SAMENTACOM auf die gemeindepsychiatrische Arbeit aufmerksam geworden und hatte dieses überzeugend gefunden. Ärzte ohne Grenzen stellt nun als zweite Organisation neben MCF-Deutschland finanzielle und personelle Hilfen zur Verfügung. Sieben zusätzliche Gesundheitszentren behandeln nun Menschen mit psychischen oder epileptischen Erkrankungen, wurden von Professor Kouas SAMENTACOM-Team ausgebildet und fachlich betreut, während Ärzte ohne Grenzen die Finanzierung übernimmt.
Auch zwei Journalisten eines neu gegründeten, auf Gesundheitsthemen spezialisierten Internet-Senders nahmen an der Tagung teil, machten Interviews und sammelten Statements, um diese zu verbreiten.
Netzwerkarbeit für das Recht auf Medikamente und Versorgung
Wir konnten uns davon überzeugen, wie sehr sich unsere Partnerorganisation dabei engagiert, die Not der Menschen mit psychischen Erkrankungen in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen und dabei auch den Staat in die Pflicht zu nehmen.
Ein erster geforderter Schritt ist die kostenlose Abgabe der nötigen Medikamente für psychisch kranke Menschen, analog der bestehenden kostenlosen Abgabe von AIDS-Medikamenten. Denn die Armut der Menschen führt immer wieder zu Behandlungsabbrüchen.
Erfreulich ist es und zugleich ein großer Fortschritt, dass unsere Partner es inzwischen geschafft haben, mit Hilfe der deutschen Hilfsorganisation MEDEOR und der staatlichen Stelle für den Einkauf und die Verteilung von Medikamenten (NPSP) ausreichend Medikamente einkaufen zu können. So kommt es nicht mehr zu Unterbrechungen bei der Versorgung mit Medikamenten, wie es früher immer wieder der Fall gewesen ist.
Unterwegs: Das Gesundheitszentrum Brobo
In einem Distrikt in der Nähe von Bouaké, der die Stadt Brobo und 64 Dörfer umfasst, arbeiten im Gesundheitszentrum ein für die psychiatrischen Sprechstunden zuständiger Pfleger und zwei Gesundheitshelfer (Agents de Santé). Sie versorgen in ihrem Einzugsgebiet die Menschen mit psychischer Erkrankung oder Epilepsie. Wir fuhren mit auf die Dörfer, besuchten Patientinnen und Patienten mit psychotischen oder anderen Erkrankungen, die unter regelmäßiger Medikation wieder im Kreis ihrer Familie oder Bekannten leben. Durch eigene Arbeit können sie nun für sich sorgen oder das Familieneinkommen unterstützen.
Wir sahen aber auch einige kranke Menschen, die aufgrund finanzieller Schwierigkeiten nicht weiterbehandelt wurden und nun ein sehr isoliertes, ärmliches Leben in einer Hütte des Dorfes führten. Hatten ihre Angehörigen aus nicht eindeutigen Gründen nicht mehr für die Medikamente gezahlt, wurde die Beendigung der Medikamentenabgabe von manchen Mitarbeitern der Gesundheitszentren als gerecht und logische Folge empfunden. Hier sind Professor Koua und wir uns aber einig, dass das nicht im Sinne des Projekts ist. Wir stellen in solchen Fällen die Medikamente auch kostenlos zur Verfügung. Sie sind eigentlich preiswert und auch für ärmere Familien bezahlbar. Es ist sehr schwer, zu beurteilen, wann eine Zahlung wirklich nicht mehr möglich ist und wann es eine Frage der Motivation ist, vor allem bei langfristigen Behandlungen.
Bei unserem Besuch erzählten manche Angehörigen, dass in dieser Gegend die Ernten wegen Regenmangel durch den Klimawandel immer schlechter wurden – sicher ein Problem, das auch künftig eine Rolle spielen wird.
Wir begegneten auch Angehörigen, deren Mitgefühl und Fürsorge für ihre kranken Verwandten sehr begrenzt war. Man habe selbst oft nicht genug zum Essen, sagten sie uns. Wenn etwas übrig sei, gebe man es den Kranken, sonst nicht.
In einem der Dörfer zeigten uns die Gesundheitshelfer in einer Hütte ein ausgemergeltes 14-jähriges Mädchen, kaum ansprechbar, das aussah wie eine Sechsjährige. Der Vater sei Alkoholiker und kümmere sich nicht, die Mutter sei geflüchtet. Das Kind wies aufgrund einer Epilepsie gravierendste Entwicklungsrückstände auf. Hier konnte SAMENTACOM helfen, das Kind einer Behandlung und einer vorläufigen Pflegefamilie zuzuführen.
An diesem Tag wurden wir begleitet von der tatkräftigen Sozialarbeiterin des Gesundheitszentrums Brobo, die zuständig für diesen weitläufigen ländlichen Distrikt ist. Sie klagte, dass sie die Armut und die Not der Menschen sehe, sie auch aufsuche, aber dass sie über keinerlei staatliches Budget verfüge. Sie könne nur mit den Menschen reden, reden, reden und versuchen, Konflikte zu besprechen, Angehörige zu motivieren, sich zu kümmern. Aber damit seien ihre Möglichkeiten auch erschöpft – das mache ihre Arbeit so schwer.
Wir nahmen in zwei Dörfern, in denen Menschen mit psychischer oder epileptischer Erkrankung lebten, an Dorfversammlungen teil. Die Gesundheitshelfer klärten die Versammelten über die psychischen Erkrankungen auf, es konnten Fragen gestellt oder über Beobachtungen berichtet werden. Zwar herrscht immer noch die traditionelle Vorstellung vor, dass ein psychisch kranker Mensch von einem bösen Geist besessen ist. Aber es wächst doch auch das Interesse an den Hilfsmöglichkeiten der modernen Medizin, insbesondere wenn Menschen die Erfahrung machen, dass sie hilfreich ist.
Besuch im Gebetscamp Bethel
ir besuchten ein Gebetscamp im Einzugsgebiet des Gesundheitszentrums Brobo, das neben anderen Kranken auch 11 Frauen und Männer mit psychischer Krankheit oder Epilepsie beherbergte. Der evangelikale Leiter, der sich als Prophet Jeremiah vorstellte, empfing uns in der überdachten Gebetshalle. Wir durften uns als Gruppe in seiner Begleitung im Camp umsehen. Die Patienten und Patientinnen schliefen auf dem Fußboden in kleinen, nicht ausgestatteten Hütten.
Wir sahen fünf angekettete Menschen: ein wütend gestikulierender, schreiender Mann, dem sich niemand näherte; ein apathisch wirkender junger Mann mit Verdacht auf Epilepsie; eine junge Frau; ein mit sich sprechender, manieriert gestikulierender junger Mann und ein Siebzehnjähriger, der in schlechtem Allgemeinzustand in der Hütte lag. Er hatte seine Vorbereitung für die Abschlussprüfung der Schule wegen der Erkrankung unterbrochen. Seine Eltern hatten ihn aus Not in das Gebetscamp gebracht, so wie die meisten Kranken von ihren eigenen Familien in der Hoffnung auf Heilung dorthin gebracht werden. Professor Koua bat Jeremiah, die Angeketteten kostenlos in seiner nahegelegenen Ambulanz untersuchen zu dürfen. Dieser antwortete, er sei prinzipiell zur Kooperation bereit, müsse jedoch zuvor die Angehörigen fragen. Auch war der Leiter durch andere Anwesende informiert, dass das Gefangenhalten im Gebetscamp nicht gesetzeskonform ist und ihm Probleme bereiten könne. Am nächsten Tag wurde uns auf Anfrage mitgeteilt, dass die Angehörigen ihre Zustimmung verweigert hätten. Die Mitarbeiter von SAMENTACOM werden sich mit dieser Antwort nicht zufriedengeben und weiter versuchen, den Leiter des Camps zu einer wirklichen Kooperation zu bewegen. Das könnte ein langer Weg sein.
Der Leiter des Gebetscamps erzählte uns, es gebe Menschen, die seien psychisch krank, andere seien von bösen Geistern besessen. Auf die Frage, wie er das unterscheiden könne, berief Jeremiah sich auf seine von Gott geschenkte Gabe. Er wisse den Unterschied einfach. In uns sträubte sich etwas angesichts dieser Selbstgewissheit. Aber Prof. Koua blieb geduldig und erklärte ihm, dass seine eigenen Augen und die Augen des Propheten die Dinge unterschiedlich sehen.
Es gibt in der Elfenbeinküste viele Gebetscamps. Sie sind nirgends registriert und brauchen keine formale Erlaubnis, um Menschen zu behandeln. Im Prinzip kann jeder ein Gebetscamp gründen. Für die Angehörigen, die sich durch die Krankheit ihrer Familienmitglieder überfordert fühlen, ist ein Gebetscamp der nahe liegende Ausweg.
Will man sich einen Überblick darüber verschaffen, wo und wie in der Elfenbeinküste psychisch kranke Menschen leben, müssen die Gebetscamps erfasst werden. In einer von unserer Stiftung finanzierten Untersuchung wurden 2021 im ganzen Land 550 Gebetscamps gefunden, in denen sich psychisch kranke Menschen aufhalten. Die Gebetscamps werden vielfach von christlich-evangelikalen, aber auch muslimischen oder naturreligiösen Heilern geleitet. Wir gehen davon aus, dass es in der Elfenbeinküste noch viel mehr als die genannten Gebetscamps gibt als jene, die in der Untersuchung gefunden wurden.
Besuch der Psychiatrischen Universitätsklinik Bouaké
Wir besuchten auch die psychiatrische Abteilung der Universitätsklinik in Bouaké. Die Klinik dient für das Projekt SAMENTACOM als Ergänzung der ambulanten Versorgung in seltenen Fällen. Die Ausstattung ist extrem einfach, dabei sauber. Hier werden maximal 20 Patientinnen und Patienten behandelt, bei denen eine ambulante Behandlung nicht ausreicht. Die Behandlungszeiten sind möglichst kurz und sollten laut Prof. Koua acht Tage nicht überschreiten.
Während der Behandlung wird auf ausreichende Ernährung und Hygiene geachtet. Eine freundliche Köchin kocht für die Patienten, damit sie auch körperlich in einer guten Verfassung sind.
Die sanitären Einrichtungen, maroden Elektroleitungen und Außenwände wurden renoviert. Unsere Stiftung hatte die Renovierung über eine Sonderspende finanziert.
Liebe Freundinnen und Freunde unseres Projekts! Einige von euch hatten für die Renovierung der damals heruntergekommenen psychiatrischen Klinik gespendet.
Wir sind mit vielen und reichen Eindrücken von unserer Reise zurückgekommen. Will man ein Resümee ziehen, dann sind es vor allem diese Herausforderungen, die wir für die Zukunft sehen:
Dr. Gesine Heetderks und Dr. Fariedeh Huppertz
Die am 24. November 2021 veröffentlichte wissenschaftliche Studie mit dem Titel “Survey of non-conventional mental health care facilities in Côte d’Ivoire: first stage” zeigt auf, wo sich Patient:innen mit psychischen und epileptischen Erkrankungen sowie psychosozialen Behinderungen in der Elfenbeinküste (und vermutlich auch in anderen Kändern Westafrikas) tatsächlich befinden.
Die Untersuchung ist damit eine wichtige Grundlage für die Entwicklung einer realistischen und finanzierbaren psychiatrischen Versorgung.
Der Artikel liefert eine Typologie von vier Arten nicht-konventioneller psychiatrischer Versorgungseinrichtungen in Côte d’Ivoire, darunter christliche ‘Prayer Camps’, traditionelle Heilzentren, Phytotherapiezentren und Roqya-Zentren. Untersucht wurden ihre administrative Verankerung, die Qualifikation der Einrichtungsleiter sowie ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit konventionellen psychosozialen Versorgungszentren. Die 541 Zentren, die in die Untersuchung einbezogen wurden, sind weder staatlich registriert oder zugelassen noch werden sie in irgendeiner Weise kontrolliert, aber eine beträchtliche Anzahl der nicht-konventionellen Einrichtungen äußerte den Wunsch oder die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit psychiatrischen Einrichtungen.
In einer zweiten Phase will MCF mit den Kolleg:innen in der Elfenbeinküte genauer untersuchen, was in diesen Camps geschieht und eine Kooperation mit einigen dieser nicht-konventionellen Zentren starten und evaluieren.
Die Untersuchungen werden über eine Sonderspende finanziert. MCF wird einen Antrag bei einer Unterorganisation der GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) stellen, bei der MCF inzwischen akkreditiert ist.
https://ijmhs.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13033-021–00506‑7
Koua, A.M., Djo Bi Djo, F., Kouadio, R.N. et al. Survey of non-conventional mental health care facilities in Côte d’Ivoire: first stage. Int J Ment Health Syst 15, 83 (2021). https://doi.org/10.1186/s13033-021–00506‑7
Am 24. Oktober 2021 schrieb Timothée Tindano, psychiatrischer Krankenpfleger und Vollzeit-Mitarbeiter bei Yenfaabima in Piéla, Burkina Faso:
„Hiermit teile ich euch mit, dass wir die Handys, die Powerbanks und den Laptop gekauft haben. Die Ehrenamtlichen, für die die Geräte bestimmt sind, hatten zuvor nie ein Smartphone benutzt. Deshalb haben wir mit der Übergabe an die Ehrenamtlichen eine kleine Einführung zu deren Benutzung verbunden. Wir haben den Zweck erklärt und klare Anweisungen zum Gebrauch gegeben. Eine eigene Nachrichten-Gruppe wurde eingerichtet, um Informationen über Hausbesuche auszutauschen.“
Ein wichtiger Sinn der Vernetzung durch Smartphones liegt darin, dass sich die Ehrenamtlichen zum Teil in für sie nicht ganz sicheren Gebieten bewegen. Die Handys ermöglichen ihnen eine bessere Vernetzung mit Timothee Tindano, der sie in schwierigen Situationen beraten kann.
Die 2018 in Darmstadt gegründete Mindful Change Foundation unterstützt sozialpsychiatrische Projekte in der Elfenbeinküste und in Burkina Faso. Sie bietet fachliche und finanzielle Hilfe. Unser Autor berichtet, wie PatientInnen und ihre Angehörigen in ihrer Lebenswelt unterstützt werden können. In Ländern, in denen es kaum eine psychiatrische Versorgung gibt, sollen modellhafte, bezahlbare und patientenorientierte Versorgungsmöglichkeiten entwickelt werden, die dem internationalen Stand der Versorgungsforschung und den Bedingungen vor Ort gerecht werden. (mehr)
Veröffentlichung in der Zeitschrift “Soziale Psychiatrie” (03/2020) von Michael Huppertz (hier klicken)
In dem Beitrag hinterfragt der Autor den Mythos des günstigeren Verlaufs schwerer psychischer Erkrankungen in den Entwicklungsländern, der verbunden ist mit der Kritik an der Global-Mental-Health-Bewegung. Er verweist auf das Schicksal der weltweit Millionen Menschen, die keinen Zugang zu einer psychiatrischen Behandlung haben. Michael Huppertz schlägt vor, statt von einer vermeintlich destruktiven »westlichen Psychiatrie« zu sprechen und den traditionellen Umgang mit psychisch kranken Menschen zu romantisieren, eine wissenschaftliche Psychiatrie zu unterstützen, die sich als Heilkunst versteht, einem umfassenden Begriff von »Wissenschaft« folgt und die historischen und kulturellen Erfahrungen einbezieht.
von Gesine Heetderks und Michael Huppertz
Mindful Change Foundation
Wir haben vom 1. bis 11. April 2019 eine Reise in die Elfenbeinküste unternommen, um uns einen Einblick zu verschaffen, wie das von unserer Stiftung geförderte Projekt SAMENTACOM (Santé Mentale Communitaire) in Bouaké, das eine sozialpsychiatrisch orientierte Versorgung der Menschen mit psychischen Erkrankungen und Epilepsie implementieren will, vorangekommen ist und wie es weiterentwickelt werden kann. Das Projekt wurde –ausgelöst durch die verstörenden Berichte über psychisch kranke Menschen, die unter entwürdigendsten Bedingungen in den armen Ländern Afrikas und Asiens ihr Dasein ohne medizinische Hilfe fristen — bei unserem Aufenthalt in der Elfenbeinküste im Januar 2018 in die Wege geleitet und hat seither die Arbeit aufgenommen.
Unser jetziger Besuch war vom Leiter des Projekts, dem ivorischen Psychiater Prof. Koua von der Universität in Bouaké, und von seinem Mitarbeiterstab sorgfältig vorbereitet und organisiert worden. Zu dem verantwortlichen Team gehören neben Prof. Koua ein weiterer Psychiater sowie zwei noch in der Ausbildung befindliche Psychiaterinnen, ein Soziologe, ein Agent de Santé (Mitarbeiter in einem der Gesundheitszentren), ein Pharmakologe, ein Jurist, zwei Geographen und eine Assistentin. Wir wurden in die Arbeit an allen für das Projekt relevanten Baustellen einbezogen. Wir nahmen an etlichen Diskussionen mit Mitarbeitenden, aber auch mit Patienten und Angehörigen teil, und Anregungen unsererseits im Blick auf die laufende Arbeit und die weitere Entwicklung des Projekts wurden gerne aufgenommen. Auch kritische Fragen waren willkommen.
Die thematischen Schwerpunkte unserer Reise waren:
1. Die Entwicklung der psychiatrischen und neurologischen Arbeit in den bestehenden Gesundheitszentren;
2. Fortbildungen zu psychosozialen Aspekten der Behandlung und Weiterentwicklung der Supervisionen;
3. die Zusammenarbeit mit den Camps de Prière (CdP);
4. die Zusammenarbeit mit der nationalen Pharmaziebehörde zur
Sicherstellung der Versorgung mit Medikamenten.
1. Die Entwicklung der psychiatrischen und neurologischen Arbeit in den bestehenden Gesundheitszentren
Es gibt in der Elfenbeinküste eine flächendeckende Versorgung mit kleinen, einfachen Gesundheitszentren, die für alle gesundheitlichen Fragen zuständig sind, aber in der Regel keine psychiatrisch oder epileptisch erkrankten Patienten behandeln. Deshalb ist es das Ziel, diese Gesundheitszentren zu befähigen, sich auch dieser Patienten annehmen zu können. SAMENTACOM hat daher ein Pilotprojekt in 10 Gesundheitszentren zumeist in der ländlichen Umgebung von Bouaké initiiert. Dabei wurde bislang untersucht, welche psychiatrischen Hilfen es dort bereits gibt, es wurden psychiatrische Sprechstunden eingerichtet und es wurde mit deren regelmäßiger Supervision durch den Mitarbeiterstab von Prof. Koua in Gestalt von gemeinsamen Behandlungen vor Ort begonnen. Als ein Hauptproblem des Projekts hat es sich dabei erwiesen, die Patienten überhaupt in den Dörfern und Camps de Prière aufzufinden, sie also sichtbar zu machen und ihnen eine Behandlung zu ermöglichen. Dies muss künftig verstärkt zu den Aufgaben der Agents de Santé gehören, die im Rahmen des Projekts ausgebildet werden.
Die medikamentöse Behandlung von Psychosen und Epilepsien stellt einen unverzichtbaren Fortschritt dar. Es wurde immer wieder die Notwendigkeit einer psychosozialen Zusatzfortbildung deutlich für diejenigen, die mit psychisch Kranken arbeiten, nicht nur, damit sie besser auf deren seelische Situation und soziales Umfeld eingehen können, sondern auch, um selbst mit Schwierigkeiten im Umgang mit psychisch Kranken besser zurechtkommen zu können. Eindrücklich war für uns ein Treffen mit ca. 50 katholischen Schwestern, von denen einige einen Gesundheitsposten leiten und mehrere eine psychiatrische Ausbildung bei Prof. Koua gemacht haben. Sie wirkten intrinsisch hochmotiviert, und gleichzeitig berichteten sie im Gespräch von vielen Situationen mit psychisch Kranken, in denen sie sich hilflos fühlten und teilweise auch Angst hatten. Es wurde der Wunsch nach monatlichen Supervisionen geäußert, und es wurde deutlich, dass sie viel Unterstützung brauchen.
2. Fortbildungen zu psychosozialen Aspekten der Behandlung und Weiterentwicklung der Supervisionen
Wir erlebten eine Supervision in einem der zehn Gesundheitsposten des Projekts. Einer der Pfleger dort hat an der psychiatrischen Grundausbildung bei Prof. Koua teilgenommen. Die Sprechstunde wurde von diesem Pfleger zusammen mit einem Psychiater des Teams durchgeführt. Das soll in Zukunft einmal im Monat in dieser Weise stattfinden. In der Sprechstunde hatten die meisten Patienten eine Epilepsie, manche hatten Rückfälle, weil sie die Medikamente nicht weiter genommen hatten, andere wurden erstmalig eingestellt. Eine Patientin war dreimal angekettet gewesen, einmalig antipsychotisch behandelt und bei erneuten psychotischen Schüben in ein Gebetscamp gebracht worden.
Auffällig war, dass der Pfleger sich eher an die Angehörigen mit ihren Fragen wandte, als an die Patienten selbst. Der Ton war kurz und bündig, es schwang wenig erkennbare Anteilnahme mit. Es gab häufige Unterbrechungen durch Handyanrufe. Die Patienten verhielten sich eher unterwürfig. Andere Mitarbeiter nehmen sich viel Zeit im Gespräch mit Patienten und Angehörigen, zeigen auch viel Geduld, aber es geht natürlich schneller, wenn man mit den Angehörigen spricht. Dem Patienten gegenüber werden Entscheidungen nicht begründet oder gar ausgehandelt, so unser Eindruck.
Parallel zur Sprechstunde führte Prof. Koua zusammen mit einem Mitarbeiter eine erste Fortbildung für die dortigen Agents de Santé über das Erkennen und den Umgang mit psychisch und epileptisch kranken Menschen durch. Ihre Aufgabe wird es sein, in die Dörfer zu gehen und die Kranken zu ermutigen, in die Sprechstunde zu kommen, mit den Familien zu sprechen und während der Behandlung mit den Kranken Kontakt zu halten. Diese Ausbildung ist ein wichtiger Teil unseres Projekts. Es waren 8 Agents de Santé anwesend, darunter eine Frau. Die Agents waren sehr beteiligt, schilderten Problemfälle. Sehr klar war die Botschaft von Prof. Koua, dass sie in Zukunft die Aufgabe bekommen sollen, Verdachtsfälle an ihr Zentrum zu melden, dass sie aber keine Diagnose stellen müssen und natürlich auch keine Behandlung durchführen sollen. Vielmehr geht es darum, dass sie den Kontakt zwischen den Patienten und ihren Dörfern und den Gesundheitszentren herstellen und sie begleiten. Sie kennen die Kranken in den Dörfern und in den CdP.
Im Hinblick auf die psychologische Schulung und Fortbildung des SAMENTACOM-Teams im Umgang mit psychisch kranken Menschen ist es uns gelungen, einen klinischen Psychologen aus Abidjan zur Mitarbeit zu gewinnen. Die Idee ist, dass er zusammen mit Prof. Koua eine Broschüre erstellt, in der die wichtigen Elemente des psychologischen Umgangs erläutert werden. Dieses Team kann dann wieder die Ausbildung in den einzelnen Gesundheitsposten übernehmen.
3. Zusammenarbeit mit den Camps de Prière (CdP)
Bei den CdP handelt es sich um Dörfer mit geistlichem Angebot, die in der Regel gegen Bezahlung psychisch und epileptisch erkrankte Menschen aufnehmen, zumeist über lange Zeit, dies auch gegen den Willen der Betroffenen auf Wunsch von deren Angehörigen. Psychische Erkrankungen und Epilepsie werden hier religiös gedeutet als Besessenheit durch böse Geister, und so besteht die Behandlung in Beten und teilweise auch in Torturen, denen die Kranken unterworfen werden, um die bösen Geister aus ihnen auszutreiben. Damit die Patienten nicht weglaufen oder Schaden anrichten, werden sie oft unter freiem Himmel an Bäume angekettet, nicht selten über Jahre hinweg. Der Weg der Patienten führt in der Regel über Heiler, die traditionelle Medizin praktizieren, in die Gebetscamps, die mehrheitlich evangelikal ausgerichtet sind, wobei traditionelle religiöse Elemente eine mehr oder weniger große Rolle spielen. In Anbetracht der Hilflosigkeit vieler Angehöriger im Umgang mit psychischen Erkrankungen erscheint ihnen die Unterbringung der Kranken in Gebetscamps häufig als die einzig mögliche Lösung. Den Camps de Prière kommt daher eine zentrale Bedeutung zu, und die Entwicklung einer konstruktiven Zusammenarbeit mit ihnen ist – wenn sie gelingt – eine Chance für den Aufbau einer psychiatrischen Versorgung in Westafrika.
Bislang gibt es keinerlei Überblick darüber, wie viele Camps de Prière es gibt und wo sie sich befinden. Sie sind nirgendwo registriert, und jeder kann ein solches Camp gründen. Ziel muss daher eine nationale Erhebung in dieser Sache sein. Dazu wurde von SAMENTACOM eine Pilot-Enquête in der Umgebung von Bouaké durchgeführt und in einer sehr gelungenen Broschüre dargestellt. Erfasst und kartographiert wurden 71 CdP, von denen 40 besucht wurden. Rechnet man dies für die Elfenbeinküste hoch, so müsste es um die 2000 CdP in diesem Land geben.
Der Pilot-Erhebung zufolge sind die allermeisten CdP zur Kooperation bereit. Wir haben mehrere CdP besucht, auch eines, in dem wir schon im vergangenen Jahr gewesen sind. Dort stellte sich allerdings nach einem sehr freundlichen Empfang heraus, dass die religiösen Leiter beschlossen hatten, nur noch mit den Patienten zu beten und keine medikamentöse Behandlung durch das SAMENTACOM-Team mehr zuzulassen. Im Gespräch mit den Dorfältesten ermahnte Prof. Koua alle, die Behandlung zuzulassen, da sie andernfalls mit dem Gesetz in Konflikt kommen würden. So sahen wir in dem Lager drei angekettete Patienten -, einen davon hatten wir schon vor einem Jahr dort angekettet gesehen -, die ohne psychiatrische Hilfe dort ihr Dasein fristen mussten. Über die Motive der Leiterin, die Zusammenarbeit zu verweigern, kann man nur spekulieren. Auf alle Fälle hätten vielleicht ein regelmäßigerer Kontakt und regelmäßige Gespräche einen solchen Bruch verhindern können – auch mit der klaren Botschaft, dass das Festhalten von Patienten mit der gleichzeitigen Weigerung, ihnen Hilfe zukommen zu lassen, ein Gesetzesverstoß und eine Menschenrechtsverletzung ist, die nicht toleriert wird. Allerdings scheint die Rechtslage und insbesondere die menschenrechtliche Dimension eines solchen Handelns allgemein ziemlich unbekannt zu sein. Für künftige derartige Konflikte mit CdPs ist es daher wichtig, sich hinsichtlich der Rechtsgrundlagen kundig zu machen und auch die zuständigen polizeilichen Stellen für diese Problematik zu sensibilisieren.
Deutlich ist aber auch geworden, wie wichtig es ist, die Patienten und ihre Angehörigen darin zu unterstützen, dass sie ihre Belange und Interessen selbst zu artikulieren und zu vertreten lernen. In einem Dorf zeigten wir den beeindruckenden Film: La Maladie du démon von Judith Kugler. Eine Anregung von Prof. Koua bei diesem Treffen, mit Patienten und ihren Angehörigen, eine Selbsthilfegruppe zu gründen und dazu auch die örtlichen Autoritäten und die Polizei einzuladen, stiess dort auf breite Resonanz. Die Gründungsversammlung wurde für Ende Mai in Aussicht gestellt.
4. Zusammenarbeit mit der nationalen Pharmaziebehörde zur Sicherstellung der Versorgung mit Medikamenten
Gemeinsam mit Prof. Koua hatten wir ein Treffen mit Vertretern der Nationalen Pharmaziebehörde für den öffentlichen Sektor (NPSP). Ziel war es, eine Übereinkunft mit der NPSP zu erreichen, die dazu führt, dass sie die Medikamente für die Zentren, die an unserem Projekt beteiligt sind (und möglicherweise für weitere in der Zukunft), bestellen, bezahlen und an die Zentren kostengünstiger als in den Pharmazien abgeben. Bislang hatten wir Medikamente in Zusammenarbeit mit Medeor in die Elfenbeinküste geschickt. Medeor ist eine deutsche NGO, die Medikamente kostengünstig in arme Länder liefert.
Die NPSP gibt die Medikamente nicht umsonst ab, sondern verkauft sie – allerdings billiger als die Apotheken – an die Krankenhäuser, Centres de Santé etc. Letztlich werden sie dort wieder von den Patienten und ihren Angehörigen bezahlt. Von einer für die Patienten kostenlosen Lieferung kann also keine Rede sein, außer bei Tuberkulose, HIV-Infektionen und wenigen anderen Erkrankungen. In diesen Fällen liefern internationale Fonds die Medikamente, und die Auslieferung ist umsonst. Auch bei anderen Medikamenten gibt es oft Spendenbeteiligungen durch internationale NGOs.
Bei dem Treffen wird deutlich, dass die NPSP sich nur engagieren will, wenn die Quantität der benötigten Medikamente so groß ist, dass sich für sie ein Engagement lohnt. Dafür will sie eine Datenerhebung der verbrauchten und in Zukunft benötigten Medikamente. Inzwischen ist die Entscheidung gefallen, dass diese Datenerhebung durch die NPSP demnächst in allen bekannten Zentren erfolgen soll, die Patienten mit Epilepsie und schweren psychischen Erkrankungen in relevanter Anzahl behandeln, und dass auf dieser Basis dann in Zukunft die Medikamente von der NPSP selbst beschafft werden sollen.
Ergebnisse und Aufgaben:
1. Die Bilanz für 2018/19 (bis 31.3.2019) haben wir gesehen, sie ist in Ordnung. Die Planung für 2019/20 wird skizziert, eine detaillierte Planung folgt.
2. Die Zahlungen der Patienten für Medikamente, die von uns bzw. Medeor geliefert werden, sollen registriert werden und an das Projekt zurückfließen. Sie sollen zur Finanzierung evtl. notwendiger weiterer Medikamente und auch für die Arbeit der Zentren eingesetzt werden, z. B. zur Finanzierung von Motorrädern oder Gehältern der Agents.
3. Es werden 20 Agents de Santé speziell für psychisch und epileptisch kranke Menschen ausgebildet. Davon werden 10 in Zukunft von uns finanziert (für 5 Zentren jeweils 2). Wir sind auch bereit die Sachkosten für die Agents zu übernehmen. Hauptproblem des Projekts wird weiterhin sein, die Patienten überhaupt in den Dörfern und CdP zu finden und ihnen eine Behandlung zu ermöglichen. Diese Funktion können und müssen hauptsächlich die Agents erfüllen.
4. Es wird eine monatliche Supervision durch die Psychiater des Projekts angestrebt.
5. Es werden vorerst keine weiteren zentralen Fortbildungen durchgeführt, weil bereits genügend Krankenschwestern und ‑pfleger für diese Phase des Projektes ausgebildet wurden. Stattdessen soll es dezentrale Fortbildungen vor Ort in den Gesundheitszentren geben sowie Fortbildungen für die Mitarbeiter der CdP. Die Idee ist, die CdP zumindest teilweise weiter zu nutzen, indem sie als wirkliche Heilstätten mit Kontrollen und Auflagen aufgewertet werden. Es muss sich freilich erst noch zeigen, wie viele CdP hierzu bereit sind und die therapeutischen Konzepte verstehen. Wo möglich, könnten und sollten auch Fortbildungen für die Polizei angeboten werden.
6. Zusätzlich soll ein Guide für die psychologische Fortbildung durch den hinzugezogenen Psychologen und Prof. Koua erstellt werden, der zuerst für die Equipe von SAMENTACOM und dann für die Mitarbeiter in den Gesundheitszentren verbindlich sein sollte.
7. Wir werden eine Nationale Enquête zu den Camps de Prière unterstützen. Sie soll bis Ende des Jahres durchgeführt werden. Inhaltlicher Träger ist die Universität von Bouaké. Prof. Koua stellt den Antrag und macht die Kalkulation. Wir kümmern uns um die Finanzierung, sei es durch uns und/oder durch kooperierende Stiftungen.
8. Die Medikamentöse Therapie wird in differenzierterer Form fortgesetzt. Nebenwirkungen sollten mehr Beachtung finden, und ebenso sollte der Compliance, auch der Angehörigen und der CdP, mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden.
9. Die Daten zum Medikamentenbedarf in den Zentren werden von der NPSP erhoben.
Es ist geplant, dass sie anschließend wie bei allen anderen Krankheiten die Lieferung der Medikamente für psychisch und epileptisch Erkrankten übernimmt.
10. Die Rechtslage bezüglich Menschenrechtsverletzungen muss klarer werden. Diesbezüglich müssen wir uns über das nationale Recht kundiger machen.
11. Es wurde uns empfohlen, eine Konvention zwischen unserer Stiftung und dem ivorischen Staat auszuhandeln; unsere Anerkennung als NGO in der Elfenbeinküste kann unsere Arbeit in diesem Land mit den Behörden erleichtern. Das ist in Vorbereitung.
12. Die Anzahl der Zentren im Projekt soll noch nicht erhöht, sondern vielmehr die Qualität und Quantität der Arbeit in den Zentren verbessert werden. Evtl. werden dann schrittweise einzelne Zentren hinzugenommen, möglichst solche, die schon in der Arbeit stecken und evtl. auch religiös orientiert sind, auch wenn wir uns darin einig sind, dass dies ein Modell für das ganze Land ist und früher oder später landesweit ausgedehnt werden sollte und kann.
April 2019
Mit Unterstützung unserer Mindful Change Foundation konnte der Verein Yenfaabima in Piéla/Burkina Faso ab dem 1. März 2019 eine psychiatrische Fachkraft fest anstellen. Timothée Tindano, der zusammen mit dem Pfarrer Tankpari Guitanga auf dessen Initiative hin eine ambulante psychiatrische Sprechstunde in einer ländlichen Region im Nordosten von Burkina Faso aufgebaut hat, wird diese Arbeit übernehmen. Sein Auftrag und sein Wunsch sind die Entwicklung einer gemeindenahen psychiatrischen Versorgung, die vorhandene Gesundheitseinrichtungen einbezieht. Auf diese Weise wird vielen erkrankten Menschen eine bezahlbare fachliche Hilfe zuteil. Die Mindful Change Foundation wird die Entwicklung dieser Arbeit fachlich begleiten und ausbauen.
Am 16.02.2019 fand im Gießhaus der Universität Kassel eine Fachtagung zum Thema Menschenrechtsverletzungen an Menschen mit psychischen Erkrankungen, Epilepsie und geistiger Behinderung statt. Die Tagung wurde von dem Aktionsnetz Heilberufe organisiert, von Amnesty International finanziert und in Simultanübersetzung zweisprachig (Englisch-Deutsch) durchgeführt. Anwesend waren Mitglieder von Amnesty International, Vertreter von NGOs und andere Interessierte, viele aus therapeutischen Berufen.
La maladie du demon – Krankheit der Dämonen
Am Vorabend der Tagung entführte die Regisseurin Lilith Kugler das Publikum mit ihrem inzwischen preisgekrönten Erstlingswerk nach Burkina Faso und stellte uns die Situation psychisch und epileptisch erkrankter Menschen vor. Psychoseerkrankte Menschen werden zum eigenen Schutz und dem der Gemeinde in Verschlägen versteckt und dort oder in der Natur an Bäume festgebunden. Teils werden hierfür weit außerhalb liegende Gebetscamps in Anspruch genommen, die nur in der unmittelbaren Umgebung bekannt sind und keiner Kontrolle unterliegen. Dort werden sie von ihren Verwandten oder, falls diese sie nicht aufsuchen, von Mitgliedern des Camps mit Essen versorgt. Die „ Behandlung“ erfolgt meist ausschließlich mit Gebeten, um die bösen Geister auszutreiben. Es gibt keinerlei psychiatrische Versorgung mit Medikamenten. Die Erkrankten verbringen oft Jahre unter einem Baum und der Film zeigt ein Beispiel, wie sich ein Betroffener immer tiefer in die Erde gräbt, und andere, die mit sich selbst sprechen oder gar ganz verstummen. Einfühlsam und ohne jedes Pathos stellt Lilith Kugler in der Begleitung eines Pfarrers, Guitanga Tankpari, die Situation in der Versorgung und die Hintergründe für das Erleben und Handeln der Menschen vor Ort dar. Der Pfarrer sucht einige Patienten auf und versucht, sie von ihren Ketten zu befreien und für sie wieder einen Platz in ihren Gemeinschaften zu finden. Der christliche Seelsorger bemüht sich die hergebrachte Kultur mit menschlicher Begleitung und den Errungenschaften medizinischer Möglichkeiten zu verbinden, um die Menschen in die Zivilisation und Gesundung zurückzubringen Die medizinische Versorgung geschieht über einen psychiatrischen Fachpfleger, Timothée Tindano, der von weither anreist und zwei Tage im Monat eine ambulante Sprechstunde durchführt. Die Versorgung mit Medikamenten ist ein großes Problem.
Auch einzelne Betroffene mit ihrem Schicksal und auch ihren positiven Krankheitsverläufen, den Folgen der Erkrankung für sie und ihre Familien den werden vorgestellt. Die Situation der Helfer in dem lokalen Hilfsprojekt wird ebenfalls angesprochen. Die Erkrankungen werden in der lokalen Tradition als Ausdruck von Besessenheit interpretiert, was dazu führt, dass die Dämonen vertrieben oder gebändigt werden müssen. Die Dämonen können auch auf andere Menschen überspringen und so geraten auch die Helfer in Verdacht von den Dämonen infiziert zu sein. Der Film zeigt aber auch, wie mit einfachen Mitteln eine elementare Versorgung entwickelt werden kann. Diese Versorgung wird gerade mit der Hilfe zweier deutscher NGOs ausgebaut.
Die Regisseurin war bei der anschließenden Diskussion anwesend und hat auf die zahlreichen Fragen geantwortet. Inzwischen ist sie erneut in Burkina Faso, zeigt dort ihren Film – auch den Menschen, die im Film mitwirken – und sie und wir sind auf die dortige Resonanz gespannt. Der Film kann für Vorstellungen in Kinos und Veranstaltungen angefragt werden, um auch hierzulande eine breitere Öffentlichkeit für das Thema zu erreichen.
Die Position von Amnesty International zu Mental Health und Human Rights. Ausgangspunkt und Fragen
Michael Huppertz, Psychiater, Psychotherapeut, Soziologe und Mitglied des Aktionsnetz Heilberufe, führte in seinem Einführungsvortrag in die Thematik der lange verborgenen Menschenrechtsverletzungen an psychisch und epileptisch erkrankten Menschen in Ländern ohne relevante psychiatrische Versorgung ein. Er sprach aus menschenrechtlicher Perspektive über die Probleme, die sich auf dem Weg zu einer Verbesserung ihrer Situation stellen. Wenn in den vergangenen Jahrzehnten von Misshandlungen psychisch kranker Menschen die Rede war, so im Zusammenhang mit Kritik an willkürlichen und gewaltsamen Behandlungen im Rahmen psychiatrischer Institutionen. Aber immer schon und bis heute würden um ein Vielfaches mehr Menschen außerhalb als innerhalb psychiatrischer Institutionen ihrer elementaren Rechte beraubt. Das liege schlicht daran, dass es weltweit etwa 1,5 Mio. Betten in psychiatrischen Institutionen incl. Heimen gibt, aber mindestens 200mal so viele schwer psychisch kranke Menschen in armen Ländern, die keinen Zugang zu psychiatrischer Behandlung haben. Erst seit etwa 10 Jahren werde das Problem, das Fachleuten schon lange bekannt ist, vor allem durch investigative Journalistinnen und Journalisten an die Öffentlichkeit gebracht. Auch Menschenrechtsorganisationen incl. Amnesty International kümmern sich bis heute wenig um die Situation dieses großen Teils der Bevölkerung. Es gehe also auch um eine Inklusion dieser Gruppe in die Menschenrechtsbewegung. Anhand der Entwicklung von Amnesty International führte er aus, wie die Organisation sich zunächst den politisch Gefangenen und den bürgerlichen und politischen Rechten widmete, sich später allgemein für die Abschaffung von Folter und Todesstrafe einsetzte. 2001 wurde das Mandat auf die Wahrung aller Menschenrechte ausgeweitet.
Dabei wurde bisweilen, aber nie umfassend, auch die Lage psychisch kranker und behinderter Menschen berücksichtigt. Neuerdings scheint die Thematik aber auf internationaler Ebene stärker in den Fokus zu treten, was durch wichtige internationale Konventionen befördert wurde. Dabei stellen sich verschiedene Probleme bzgl. der Kooperation mit regionalen und staatlichen Akteuren, der Vermittelbarkeit des modernen Konzepts der Menschenrechte in ländlichen Regionen, den Möglichkeiten von NGOs auf internationale Verhandlungen und nationale Gesundheitspolitik Einfluss zu nehmen. Gerade NGOs, die sich vor Ort praktisch engagieren, müssen im Auge haben, dass sie nicht dazu beitragen, dass sich die Irrwege der westlichen Psychiatrie beim Aufbau der psychiatrischen Versorgung in Entwicklungsländern wiederholen. Insbesondere der Aufbau großer separater psychiatrischer Einrichtungen sei abzulehnen, weil er ineffizient und teuer sei und solche Institutionen gerade unter prekären Bedingungen für Menschenrechtsverletzungen besonders anfällig sind. Zudem bestünde die Gefahr, dass den Regierungen der betroffenen Länder, die in der Regel nur sehr wenig oder gar nichts für Mental Health ausgeben, die Verantwortung für das Thema seelischer Gesundheit abgenommen werde. Bei dem effizienten und bezahlbaren Aufbau der psychiatrischen Versorgung innerhalb der allgemeinen dezentralen und ambulanten Gesundheitsversorgung könne man sich dagegen auf die internationale Expertise z.B. der WHO berufen. Michael Huppertz formulierte zum Abschluss zahlreiche Fragen an die TeilnehmerInnen der Tagung, deren Beantwortung für ein mögliches zukünftiges Engagement von Amnesty International wichtig sein könnte.
Global Mental Health und Menschenrechte – ein Überblick über die aktuelle Situation
Wolfgang Krahl vom Internationalen Netzwerk zur Entwicklungszusammenarbeit im Bereich psychische Gesundheit e.V., Psychiater und Forensiker an der Universität München, der seit Jahrzehnten in verschiedenen Schwellen- und Entwicklungsländern in Forschung, Ausbildung und Kooperationsprojekten tätig ist, stellte eindrucksvoll, ausgehend von der Erklärung der Menschenrechte dar, dass die geistige Gesundheit lange Zeit bei der Realisierung dieser Menschenrechte vernachlässigt wurde. Familien gerade in armen Ländern würden als einzige Unterstützer von psychisch Erkrankten aus Eigen- und Fremdschutz zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen greifen, indem sie ihre Angehörigen etwa anketten und wegschließen. Das beste Antistigmaprogramm sei eine gute Behandlung und Rehabilitation! Sie nehme auch gleichzeitig die Last von den betroffenen Familien, entlaste sie für andere Aufgaben und Tätigkeiten und sei eine konkrete Entwicklungshilfe. Hierzu gehöre dem Zielkatalog der WHO folgend eine gute Erstversorgung psychisch Erkrankter bis in die örtlichen Kommunen hinein, die Verfügung über Psychopharmaka, die Ausbildung von Experten für Mental Health, die keine Psychiater sein müssten, und dann auch die Aufklärungsarbeit und Psychoedukation übernehmen sollten. Hierzu bedarf es der staatlichen Implementierung und Vernetzung verschiedener Sektoren, ein Monitoring und weitere Forschungsarbeiten. Er wies darauf hin, dass auch in Europa die Entwicklung der Psychiatrie ein langer Prozess war, der im 18. Jahrhundert begonnen habe und zu den ersten Befreiungen psychisch Kranker aus ihren Fesseln führte. Wolfgang Krahl erinnerte auch an die weltweit umfassendsten und organisiertesten Menschenrechtsverletzungen in Deutschland zwischen 1933–1945. Im Rahmen des T4 Programms wurden unter maßgeblicher Beteiligung von Psychiatern und Pflegekräften 200.000 Erkrankte systematisch ermordet, viele zwangssterilisiert.
Wolfgang Krahl stellte dar, wieviel Geld die Staaten für die psychiatrische Versorgung ausgeben und wie weit die Schere zwischen Ländern mit hohem und solchen mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen auseinandergeht. Low und Lower-Middle-Income-Countries geben in der Regel unter 1% ihrer niedrigen Gesundheitsbudgets, bisweilen auch gar nichts, für die Behandlung dieser Erkrankungen aus. Dadurch hätten Milliarden Menschen keinen Zugang zu psychiatrischer Versorgung. Dabei sind diese nach Infektionskrankheiten und Verletzungen die häufigsten Erkrankungen überhaupt. Er zeigte, zu welch drastischen Folgen dies für Betroffene führen kann. In der Regel sind traditionelle Heiler die erste Anlaufstelle für Betroffene und ihre Familien. Traditionelle Heilmethoden könnten auch immer wieder für leichtere Formen von Depressionen, Abhängigkeitserkrankungen und neurotischen Krankheitsbildern erfolgreich sein. Bei schweren Depressionen, Schizophrenie, bipolaren Psychosen und Epilepsie hingegen müssten zeitnah psychiatrische Behandlungen, unter anderem mit Psychopharmaka und Antiepileptika zum Einsatz kommen.
Psychische Gesundheit und Menschenrechte an der Elfenbeinküste
Nathalie Kouakou von Amnesty International Elfenbeinküste referierte zur Situation in ihrem Land, in dem sie sich seit mehreren Jahren für eine Implementierung von Menschenrechtsstandards auch im Gesundheitssystem stark macht. Gerade psychisch Erkrankte seien in der Wahrnehmung und Verteidigung ihrer Rechte beeinträchtigt und entsprechend besonders prädestiniert, Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu werden. Obgleich die WHO das Recht auf psychische Gesundheit als einen zentralen Baustein des Wohlergehens definiert, werden von seelischer Erkrankung, Epilepsie oder Intelligenzminderung Betroffene noch oft stigmatisiert, ausgeschlossen von Bildung, politischen Debatten, Wahlen, Familiengründung etc. In der Elfenbeinküste sei die ganze Thematik der Lebenssituation psychisch Kranker marginalisiert.
Nathalie Kouakou stellte die UN Konvention über die Rechte Behinderter und den Mental Health Aktionsplan vor, die über die medizinische Behandlung hinaus soziale Verbesserungen für betroffene Personen fordern und darauf zielen, Barrieren der Integration abzubauen. Sie wollen Verantwortliche und Entscheidungsträger aufmerksam machen, anregen und auf Möglichkeiten hinweisen, wie sie dazu beitragen können entsprechende Leitlinien umzusetzen und die Rechte der Betroffenen zu schützen und zu gewährleisten. Die Konvention zielt im Besonderen aber auf die Wohn‑, Lebens- und Behandlungssituation, deren Standards dem heutigen Wissenszuwachs Genüge tun muss. Es soll auch ein anderes Bild psychischer Erkrankung in die Gesellschaft getragen werden, etwa durch verbesserte Aufklärung der Bevölkerung. Entwürdigende Behandlung und Unterbringung sollte ebenso geahndet werden wie zunächst einmal den Betroffenen die Möglichkeit gegeben werden muss, diese zu beanstanden. Die Regierung sollte Instrumente zur Verfügung stellen, Patienten und deren Familien etwa auch in Form von Verbänden und Selbsthilfegruppen zu stärken. Große psychiatrische Institutionen in Großstädten sollten durch eine wohnortnähere psychosoziale und medizinische Versorgung ersetzt werden. Um dies alles zu gewährleisten, müssten in der Administration staatliche Stellen zur Koordination und Planung geschaffen werden. Auch die Afrikanische Union habe sich weitgehend den Postulaten der WHO angeschlossen, dennoch mangele es an der Sichtbarmachung des Problems im Land und dem engagierten Angehen durch das Gesundheitsministerium. Die prekäre Situation der mangelnden Ressourcen einerseits und des wenig engagierten Angehens der Umsetzung der Leitlinien andererseits befördert wiederum die Fortsetzung der herkömmlichen Praktiken des religiös-kulturellen Verständnisses von seelischen Beeinträchtigungen mit der Gefahr der fortgesetzten Misshandlung, Missachtung und Ausgrenzung der Betroffenen. Dazu gehören auch sexueller Missbrauch im Rahmen magischen Denkens sowie Entführungen und Organentnahmen.
Trotz des sonst dynamischen Prozesses in der Entwicklung des Landes herrsche hier das magische Denken von Schuld, Magie, Besessenheit vor. Zur ohnehin schwachen medizinischen Versorgung des noch durch Folgen des Militärputsches von 1999, verschiedene Krisen und den Bürgerkrieg 2002–2011 gezeichneten Landes gibt es ein erhöhtes Aufkommen von Traumafolgestörungen. Für die psychiatrische Versorgung gibt es nur wenig Fachkräfte, und nur in 25% der Gesundheitsdistrikte gibt es überhaupt irgendeine Form von psychiatrischer Versorgung. Andererseits hat die Elfenbeinküste in einer neuen Verfassung 2016 festgelegt, dass alle Menschen mit Behinderung vor Diskriminierung beschützt und niemand wegen seiner mentalen oder körperlichen Verfassung benachteiligt werden darf.
In ihren abschließenden Forderungen unterstrich Nathalie Kouakou die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen hinsichtlich Epidemiologie, soziologischer Daten und Rechtslage der betreffenden Krankheitsbilder an der Elfenbeinküste, eine verbesserte Erreichbarkeit der Erstanlaufstellen in den Kommunen auch für psychische Erkrankungen, für die Investition in Ausbildung von Fachpersonal, aber auch von ehrenamtlichen Freiwilligen in den dörflichen Strukturen, um ein gutes Unterstützungsnetzwerk und Aufklärungsarbeit aufzubauen.
Von Westafrika bis Südostasien: Transformation des Zugangs zur psychiatrischen Versorgung durch die Quality Rights der WHO und die Arbeit von CBM im Bereich der psychischen Gesundheit
Carmen Valle ist als Beraterin für Mental-Health-Projekte der Christoffel-Blinden-Mission (cbm) insbesondere auch in Bezug auf Menschenrechtsbildung , in verschiedenen Ländern Afrikas und Asien tätig. Sie schloss sich mit der Darstellung den Erfahrungswerten und Lösungsmodellen ihrer Organisation an. Sie schilderte, wie es gelingen kann, basale Netzwerke vor Ort zu schaffen, Entscheidungsträger und Menschen in der Versorgung von beeinträchtigten Personen zu unterstützen. Cbm setzt u.a. auf sogenannte Peergroups, d.h. auf Menschen, die lebenserfahren sind und den Respekt der Gemeinde genießen und gleichzeitig aufgeschlossen sind für die Implementierung einer sozialpsychiatrischen Versorgung in den Gemeinden und praktisch oft therapeutisch wirken. Eindrucksvoll stellte sie ein durchdachtes Konzept der verschiedenen Ebenen dar, wie die Länder auch zukünftig ohne die zunächst flankierenden NGOs das einmal aufgebaute System eigenständig pflegen und weiterentwickeln können. Psychische Gesundheitspflege und Berücksichtigung der Situation psychisch kranker, stigmatisierter Menschen mit Epilepsie und geistiger Beeinträchtigung sollten im Gesamtkonzept von Entwicklungsarbeit integriert werden, etwa bei Bildungsprojekten in Schulen und Kindergärten. Hier kann auch bereits der Inklusionsgedanke frühzeitig eingebracht werden, ebenso wie bei Eltern- und Gemeindeversammlungen. So wird auch die Achtsamkeit gegenüber der besonderen Gefährdung der Betroffenen für Übergriffe und Misshandlungen und damit die soziale Kontrolle, die als Schutz dienen kann, gestärkt. Das Konzept ihrer Organisation besteht darin bei notfallmäßig angeforderten Hilfen in Schwellen- und Entwicklungsländern etwa nach Erdbeben, Tsunami o.ä. neben den sogenannten basic needs dann auch die seelische Gesundheit gesondert in den Blick und die Arbeit vor Ort einfließen zu lassen. Weltweit werden Vor-Ort-Trainer in Erster Hilfe in Bezug auf Erstversorgung nach Traumatisierung entsprechend den WHO Richtlinien ausgebildet.
Die Situation traumatisierter Menschen in Liberia
Susanne Grosse, Sozialwissenschaftlerin an der Universität Kassel, sorgte als Hausherrin der Veranstaltung mit dem Gießhaus nicht nur für eine angenehme Tagungsatmosphäre, sondern berichtete ihrerseits angesichts ihres bevorstehenden Forschungsaufenthaltes in Liberia nicht nur von der dort noch ähnlich desaströsen Situation Betroffener mit anschaulichem Film- und Bildmaterial, sondern verdeutlichte auch anhand der Pflegestandards in Deutschland, dass wir noch gar nicht solange selbst von einer schlechten Versorgung entfernt sind. Die Psychiatrie-Enquete und Besucherkommissionen hätten hier zwar für mehr Transparenz und Standards gesorgt, bedürften aber einer ständigen Verbesserung. Gerade den betroffenen Menschen falle es ja schwer, für ihre Rechte einzustehen. In Projekten in Liberia werden Menschen für die psychosoziale Begleitung auch insbesondere der zahlreichen traumatisierten Menschen im Land ausgebildet. Tausende ehemaliger rekrutierter Kindersoldaten sind inzwischen erwachsen und haben selbst Familien, tragen aber nicht selten Traumafolgestörungen mit sich — mit wiederum gravierenden Folgen für sich und die Gesellschaft.
Die praktische Bedeutung internationaler Menschenrechtskonventionen für die Entwicklung der psychiatrischen Versorgung
Margret Osterfeld, Psychiaterin im Ruhestand und engagiert bei Aktion Psychisch Kranke e.V. war nicht nur engagierte Kritikerin bei vorherigen Vorträgen, sondern trug selbst von ihrer Tätigkeit beim UN Unterausschuss zur Prävention von Folter vor, in deren Rahmen regelmäßig Teams Versorgungseinrichtungen in verschiedenen Ländern besuchen und Berichte erstellen, inwiefern entsprechende Standards zur Versorgung eingehalten bzw. missachtet werden und verbessert werden sollten. Diese Teams haben in der Regel Zugang zu allen psychiatrischen Einrichtungen und erstellen Berichte zu der menschenrechtlichen Situation in diesen Einrichtungen. Wenn sie keinen freien Zugang bekommen, brechen sie ihre Tätigkeit ab. Die Berichte werden an die zuständigen Behörden weitergeleitet und Vorschläge zur Verbesserung der Situation gemacht. Eine Veröffentlichung darüber hinaus wird nicht angestrebt, um die Kooperation mit den Regierungen nicht zu gefährden.
Diskussion auf dem Podium und mit dem Publikum
Die Vorträge — moderiert von Mirjam Ibold, Psychologin, Mitglied des Aktionsnetzes der Heilberufler ‑wurden von lebhaften Diskussionen begleitet, für die auch viel Zeit zur Verfügung stand. In der abschließenden Podiumsdiskussion — Moderation: Gesine Heetderks, Psychiaterin und Neurologin — ging es unter anderem um die Frage, welche Konsequenzen sich für ein mögliches Engagement von Amnesty International ergeben. Es bildete sich ein Konsens heraus, dass für die Verbesserung der Situation von Menschen mit psychischen Erkrankungen und Epilepsie eine Doppelstrategie sinnvoll ist. Einerseits kann eine nachhaltige Veränderung ihrer Situation nur erreicht werden, wenn entsprechender Einfluss auf die Regierung ausgeübt wird. Die betroffenen Staaten haben verschiedene menschenrechtlich bedeutsame Konventionen, u. a. die wichtige Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen von 2008, unterschrieben. Sie können und müssen darauf hingewiesen werden, dass die Situation dieser Menschen eine Verletzung elementarer Menschenrechte darstellt. Andererseits jedoch erfolgen Menschenrechtsverletzungen wie die Ankettung von Menschen in aller Regel nicht aus sadistischen Motiven, sondern angesichts fehlender Alternativen und Hilflosigkeit im Umgang mit den rätselhaften Krankheiten. Deshalb kann eine solche politische Strategie nur erfolgreich sein, wenn zusätzlich anhand geeigneter Pilotprojekte gezeigt wird, dass auch in armen Ländern wie Burkina Faso, der Elfenbeinküste oder Äthiopien, wie Wolfgang Krahl ausführlich beschrieb, eine medizinische Versorgung dieser Menschen zu erschwinglichen Kosten möglich ist und daher in die staatlichen Gesundheitsprogramme übernommen werden kann. Es geht also nicht darum, die Regierungen an den Pranger zu stellen, sondern sie anhand derartiger Pilot Projekte für eine Kooperation zu gewinnen, und zwar in ihrem eigenen Interesse, weil auf diese Weise ein fundamentales Menschenrechtsproblem in ihren Ländern angegangen und vielleicht gelöst wird.
Es geht darum, durch Aufklärung über psychische Erkrankungen , Epilepsie und geistige Behinderung und vor allem durch die reale Verbesserung der Behandlung und der Betreuung der Betroffenen einen ermutigenden und hilfreichen Umgang mit diesen Menschen zu fördern. Diese Aufklärung und Ermutigung sollte die Betroffenen und Angehörigen, die Gesundheitsmitarbeiter, aber auch die Behörden und die Zivilgesellschaft einbeziehen. Die Devise „ Don‘t blame“ sollte so weit wie möglich berücksichtigt werden. Stellungnahmen sollten für die verantwortlichen Regierungen gesichtswahrend und realistisch formuliert werden, damit weitere Untersuchungen, Überprüfungen der Entwicklung, neue Vorschläge usw. in ständiger Kooperation mit den Administrationen möglich sind.
Gudrun Brünner
Der Film “La Maladie du Démon” (2018) von Regisseurin Lilith Kugler zeigt die Situation psychisch und epileptisch erkrankter Menschen in Burkina Faso sowie ein Hilfsprojekt, das wir unterstützen (s. “Projekte” auf dieser Website). Der Film wird auch in den Projekten in Burkina Faso und der Elfenbeinküste zur Fortbildung von GesundheitsmitabeiterInnen und zur Sensibilisierung der Bevölkerung und der Öffentlichkeit eingesetzt.
Am 10. Oktober 2019 wird der Film seinen deutschen Kinostart haben. Wenn Sie den Film auch in Ihrer Stadt zeigen wollen, wenden Sie sich bitte an uns oder an Lilith Kugler über verleih@la-maladie-du-demon.com. Ab nächstem Jahr ist der Film auch auf DVD zu erwerben.