Menschen mit psychischen und epileptischen Erkrankungen in die medizinische Grundversorgung aufnehmen — SAMENTACOM
SAMENTACOM steht für Santé Mentale Communautaire, d.h. psychische Gesundheit auf Gemeindeebene. Wie in vielen armen Regionen der Welt werden auch in der Elfenbeinküste Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen oder Epilepsie kaum diagnostiziert und behandelt. Daraus entstehen leidvolle Lebensumstände für sie und ihre Familien. Das Projekt Samentacom verfolgt das Ziel, psychisch kranken Menschen eine sozialpsychiatrische Behandlung zu ermöglichen. Um dies zu erreichen, vermittelt das SAMENTACOM-Team um den Psychiater Prof. Médard Koua psychiatrische Grundkenntnisse an Ärzte und Pflegeteams regionaler Gesundheitszentren. Dort sind die neu ausgebildeten Pflegekräfte und Gesundheitshelferinnen und – helfer in der Lage, als erste und wichtigste Ansprechpartner den Betroffenen zu helfen. Die oft sehr arme ländliche Bevölkerung erfährt so Aufklärung, Unterstützung und Behandlungsmöglichkeiten, wo psychische Krankheiten bislang nicht erkannt, anders gedeutet und stigmatisiert wurden.
Das Pilotprojekt SAMENTACOM umfasst rund 10 Gesundheitszentren und wird von unserer Stiftung seit 2018 finanziert. Die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“, die das Projekt überzeugend fand, kam als zweite NGO dazu und hat 2022 mit der Finanzierung weiterer Gesundheitszentren begonnen. Sie finden weitere Informationen dazu auf unserer Website
Dieses Jahr interessierte uns ganz besonders der Verlauf des neuen Projekts mit Namen CAMPPSY. Das Pilotprojekt wird von den Schmitz-Stiftungen aus dem EZ-Kleinprojektefonds, das überwiegend aus BMZ Mitteln gespeist wird, und uns finanziert. Es macht sich zur Aufgabe, eine neue Kooperation mit sog. Gebetscamps zu beginnen, in denen viele Männer und Frauen mit psychischen Erkrankungen zu finden sind.
Zur Situation der Menschen mit psychischen Erkrankungen und Epilepsie
In der Elfenbeinküste leben viele psychisch kranke Menschen in sog. Gebetscamps. Gebetscamps sind Dörfer zwischen 100 und 500 Einwohnern, die überall im Land verteilt sind. Sie sind in der Elfenbeinküste sehr zahlreich. Bei einer psychischen Erkrankung oder einer Epilepsie werden die Betroffenen häufig von ihren Verwandten in diesen Camps gegen Zahlung einer bestimmten Geldsumme untergebracht. Die Leiter dieser Camps, auch Propheten genannt, sind einfache Leute, oft Kleinbauern, ohne schulische Kenntnisse. Sie berichteten, sie seien von Gott berufen, diese Camps zu führen. Die Propheten leben und beten mit den Bewohnern für die Kranken. Darüber hinaus werden diese mit Kräutern oder Fastenkuren behandelt, gelegentlich auch mit Schlägen, um böse Geister auszutreiben. Wenn Kranke aggressiv sind oder weglaufen wollen, werden sie – manchmal über mehrere Jahre – an Bäume im Freien angekettet. Eine psychiatrische Behandlung nach dem medizinischen Modell ist weitgehend unbekannt und wird zum Teil auch misstrauisch betrachtet.
Das Projekt CAMPPSY
Ziel des Projektes CAMPPSY ist es, psychisch kranke Menschen, die in solchen Gebetscamps untergebracht sind, einer sozialpsychiatrischen Behandlung zuzuführen. Diese Menschen sind für eine Behandlung nur erreichbar, wenn es gelingt, die Leiter der Camps zur Zusammenarbeit zu gewinnen und die Patienten und ihre Angehörigen über psychische Erkrankungen aufzuklären. Hierauf ist das Projekt ausgerichtet: In zehn solcher Gebetscamps sollen etwa 100 Patienten eine Behandlung erhalten. Erreicht werden soll, dass sie so weit gesunden, dass sie wieder in ihren Familien leben können und die angeketteten Patientinnen und Patienten von ihren Ketten befreit werden und sich wieder frei im Alltag bewegen können. Die weitere Versorgung kann dann von Gesundheitszentren, die dafür ausgebildet sind, übernommen werden.
Auf unserer Reise wollten wir uns ein Bild machen über die praktische Arbeit vor Ort des CAMPPSY Teams, das vom ivorischen Psychiater Médard Koua , Professor für Psychiatrie an der Universität von Bouaké, zusammengestellt wurde. Wir konnten die Tätigkeit des Teams in sieben dieser Gebetscamps beobachten, begleiten und beraten. Wir haben vier Gebetscamps in der Gegend von Bouaké und drei Camps in der Gegend der 6 Stunden und 357 km entfernt liegenden Stadt Soubré besucht.
Wir trafen ein sehr motiviertes Team an, das bereit war, mit uns über die begonnene Arbeit zu diskutieren und uns in die Zentren der praktischen Arbeit mitzunehmen. Das Team bestand aus Psychiatern, Pflegekräften, Pharmazie- Assistenzen, Soziologen und Agents de Santé (Personen, die über eine elementare Ausbildung für psychische Erkrankungen, vor allem aber gute Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten verfügen). Die Wege zu den Gebetscamps waren extrem schlecht, insbesondere nach Regengüssen, eine Herausforderung für Fahrer und Begleiter. Wir wurden gründlich durchgeschüttelt.
Wir konnten nur christlich geführte Camps besuchen. Muslimische oder traditionelle Camps sind in der Elfenbeinküste ebenfalls zu finden. Doch ist es bisher mit diesen Camps nicht zu einer Kooperation gekommen.
Von den Propheten der Camps wurden wir freundlich begrüßt mit einer kleinen Zeremonie, bei der man Neuigkeiten austauschen und Fragen stellen konnte. Es wurden auch Bitten um Unterstützung bei Nahrungsmitteln oder beim Bau eines Brunnens geäußert. Nicht alle Camps hatten sauberes Wasser. Die Hütten waren oft sehr einfach, manchmal auch sehr ärmlich, die Wände aus Lehm und zusammengesammeltem Holz, die Dächer aus Palmblättern und schwarze Plastikplanen konstruiert, um die heftigen Regengüsse aufzuhalten.
Die Sprechstunden fanden meist im Freien, manchmal auch in einer einfachen Halle statt, die sonst für Gottesdienste und Versammlungen genutzt wurde. Kinder spielten in der Nähe, manchmal gesellten sich auch andere Dorfbewohner dazu, um in einem gewissen Abstand zu schauen, was da geschieht. Es waren auch Angehörige waren dabei, die mit den Patienten im Camp leben und sich um sie kümmerten, sie mit Nahrung und den verschriebenen Medikamenten versorgten.
Die Propheten klagten jedoch auch darüber, dass psychisch kranke Menschen mit der Bitte um Heilung in die Camps gebracht würden, die Angehörigen sich aber dann aus dem Staub machten, ohne weiter für das kranke Familienmitglied zu sorgen. Auch die Wiederaufnahme der Genesenen in deren Dorf werde manchmal boykottiert. Gelegentlich, so wurde uns berichtet, hätten die Dorfbewohner die Felder des Kranken während dessen Aufenthalt im Gebetscamp unter sich aufgeteilt.
Wir sahen viele psychisch schwer erkrankte Menschen, die dringend einer Behandlung bedurften. Auch waren einige seit Jahren angekettet. In den Camps, wo das Team schon begonnen hatte zu arbeiten, berichteten Patienten und Angehörige über erstaunliche Verbesserungen der Krankheitssymptome. Mehrere Patienten konnten von ihren Ketten befreit werden.
Die meisten Gespräche wurden in Baoulé geführt, einer Sprache, die ein großer Teil der ivorischen Bevölkerung spricht. Nicht alle sind mit der offiziellen Landessprache Französisch vertraut. Der Arzt übersetzte einiges. Aber auch das dort gesprochene Französisch konnten wir nicht immer verstehen und waren dann auf unsere Beobachtungen angewiesen.
Die Aufklärung darüber, dass es sich bei den Symptomen der Patienten um eine Krankheit und nicht um Besessenheit durch böse Geister handelt, scheint inzwischen doch einiges zu bewirken. Für die Angehörigen, oft besorgte und mit ihren Kindern leidende Mütter, Ehegatten oder andere – meist weibliche – Verwandte war es auch ein Hoffnungsschimmer, dass eine Gesundung oder zumindest eine Verbesserung der Symptome möglich ist und es einen Weg aus der völligen Aussichtslosigkeit gibt. Wir hoffen sehr, dass dieses Projekt mehr und mehr Menschen überzeugt.
Beeindruckt hat uns ein Gottesdienst, der nahe eines Gebetscamps stattfand. Wir wurden gebeten teilzunehmen, weil dort auch für die psychisch kranken Menschen gebetet werden sollte. Wir fanden uns inmitten vieler Menschen wieder, die tanzten, sangen und beteten und uns lachend begrüßten. Ihre Spiritualität hatte etwas sehr Fröhliches, Zugewandtes. Nach dem Gottesdienst kamen einige Hilfesuchende mit psychischen Problemen in die Sprechstunde des CAMPPSY Teams auf dem Camp-Gelände.
Mangel an Medikamenten – ein wiederkehrendes Problem
Die Lieferung von Medikamenten stellte ein akutes Problem dar. Phenobarbital, ein häufig verwendetes Medikament gegen Epilepsie, konnte über eine gewisse Zeit nicht geliefert werden. Dies ist ein Medikament, das normalerweise von der Nationalen Pharmaziebehörde geliefert wird. Eine Umstellung auf Carbamazepin, ein bei uns gebräuchliches Antiepileptikum, war für viele Patienten zu teuer, weil die Handhabung eines von uns finanzierten Sozialfonds sich in der Praxis immer wieder als sehr schwierig erweist. Es gab logistische Probleme bei der Medikamentenlieferung. Action Medeor, unsere bewährte deutsche Partner-NGO, die SAMENTACOM mit Medikamenten zu günstigen Preisen beliefert, konnte selbst zeitweilig bestimmte Medikamente nicht auf dem Markt beschaffen. Aber es gab auch logistische Lieferprobleme vor Ort, sodass unsere Projektpartner aus verschiedenen Gründen zeitweise nicht über genügend Medikamente verfügten. Helfer vor Ort baten händeringend um finanzielle Unterstützung, damit die Behandlung Schwerkranker fortgesetzt werden konnte.
Wir mussten feststellen, dass es Behandlungsabbrüche aus finanzieller Not gibt. Örtliche Apotheken verfügen zwar über geeignete Medikamente, doch sind diese für die Patienten in der Regel nicht bezahlbar. Wir konnten akut aushelfen, waren aber sehr erschüttert darüber, wie groß die Not ist. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass größere Vorräte für solche Krisenzeiten geschaffen werden. Unsere Stiftung wird dafür weiter finanzielle Unterstützung leisten.
Ermutigen und sichtbar werden: Selbsthilfegruppe für Menschen mit psychischen Erkrankungen
Sehr gefreut haben wir uns über einen Besuch in Brobo nahe Bouaké, wo sich eine seit einem Jahr bestehende Selbsthilfegruppe von Patienten mit psychischen Erkrankungen einmal monatlich trifft. Einige Angehörige begleiteten die Patienten und es fand ein reger Austausch statt. Die Gruppe dient dazu, dass die Patienten sich gegenseitig unterstützen und ihrer Diskriminierung entgegenwirken. Diese Gruppe wird von unseren Partnern unterstützt und begleitet. Derartige Selbsthilfegruppen sind an mehreren Orten geplant. Auch die WHO empfiehlt die Bildung dieser Gruppen, um die gesellschaftliche Position der Betroffenen und der Angehörigen zu stärken.
Weiterentwicklung in der Elfenbeinküste: Wachsende Sensibilisierung für psychische Gesundheit in der Bevölkerung
Inzwischen hat unsere ivorische Partner- NGO Mindful Change-CI bei den politischen Stellen einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht. Professor Koua wurde 2022 staatlicherseits zum koordinierenden Direktor des „Nationalen Programms für Psychische Gesundheit“ in der Côte d’Ivoire ernannt. Seine Institution ist jedoch bislang finanziell schwach ausgestattet.
In Abidjan konnten wir aber an einer vielbeachteten Konferenz mit Regierungsvertretern, Vertretern der WHO und „Ärzte ohne Grenzen“ teilnehmen. Dort wurden erste Schritte für den Zugang von Frauen und Müttern mit psychischen Problemen zu einer kompetenten psychiatrischen Versorgung geplant, und um finanzielle Unterstützung gebeten. Es besteht begründete Hoffnung, dass der Staat sich durch diese wichtige Arbeit unserer Projektpartner zunehmend seiner Verantwortung für Menschen mit psychischen Problemen bewusst wird.
Insgesamt waren wir beeindruckt von dem Engagement des ivorischen Projektteams. Zwar funktioniert nicht alles so, wie wir es uns vorstellen, aber der Spirit, etwas für diese bisher unbeachtete, gesellschaftlich ausgeschlossene und stigmatisierte Gruppe von Patienten erreichen zu wollen, war deutlich spürbar. Wir sahen einen lebendigen Austausch der oft noch jungen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die noch viel vorhaben, um die Integration psychischer Gesundheit in der landesweiten Grundversorgung voranzubringen. Erwähnenswert ist auch, dass der Psychiater Dr. Djo Bi Djo, Koordinator der medizinischen Aktivitäten von SAMENTACOM, bereits in das Nachbarland Mali eingeladen wurde, um das Projekt dort vorzustellen und den Beginn einer sozialpsychiatrischen Versorgung in Mali zu initiieren.
Wir freuen, mit Ihrer Hilfe unser Partner- Team in diese Arbeit für Menschen mit Epilepsie und psychischen Erkrankungen weiter zu unterstützen und danken Ihnen sehr herzlich für die bereits empfangenen Spenden!
Dr. Gesine Heetderks
Ärztin für Neurologie und Psychiatrie / Psychotherapie
Dr. Fariedeh Huppertz
Ärztin für Psychotherapeutische Medizin