Am 16.02.2019 fand im Gießhaus der Universität Kassel eine Fachtagung zum Thema Menschenrechtsverletzungen an Menschen mit psychischen Erkrankungen, Epilepsie und geistiger Behinderung statt. Die Tagung wurde von dem Aktionsnetz Heilberufe organisiert, von Amnesty International finanziert und in Simultanübersetzung zweisprachig (Englisch-Deutsch) durchgeführt. Anwesend waren Mitglieder von Amnesty International, Vertreter von NGOs und andere Interessierte, viele aus therapeutischen Berufen.
La maladie du demon – Krankheit der Dämonen
Am Vorabend der Tagung entführte die Regisseurin Lilith Kugler das Publikum mit ihrem inzwischen preisgekrönten Erstlingswerk nach Burkina Faso und stellte uns die Situation psychisch und epileptisch erkrankter Menschen vor. Psychoseerkrankte Menschen werden zum eigenen Schutz und dem der Gemeinde in Verschlägen versteckt und dort oder in der Natur an Bäume festgebunden. Teils werden hierfür weit außerhalb liegende Gebetscamps in Anspruch genommen, die nur in der unmittelbaren Umgebung bekannt sind und keiner Kontrolle unterliegen. Dort werden sie von ihren Verwandten oder, falls diese sie nicht aufsuchen, von Mitgliedern des Camps mit Essen versorgt. Die „ Behandlung“ erfolgt meist ausschließlich mit Gebeten, um die bösen Geister auszutreiben. Es gibt keinerlei psychiatrische Versorgung mit Medikamenten. Die Erkrankten verbringen oft Jahre unter einem Baum und der Film zeigt ein Beispiel, wie sich ein Betroffener immer tiefer in die Erde gräbt, und andere, die mit sich selbst sprechen oder gar ganz verstummen. Einfühlsam und ohne jedes Pathos stellt Lilith Kugler in der Begleitung eines Pfarrers, Guitanga Tankpari, die Situation in der Versorgung und die Hintergründe für das Erleben und Handeln der Menschen vor Ort dar. Der Pfarrer sucht einige Patienten auf und versucht, sie von ihren Ketten zu befreien und für sie wieder einen Platz in ihren Gemeinschaften zu finden. Der christliche Seelsorger bemüht sich die hergebrachte Kultur mit menschlicher Begleitung und den Errungenschaften medizinischer Möglichkeiten zu verbinden, um die Menschen in die Zivilisation und Gesundung zurückzubringen Die medizinische Versorgung geschieht über einen psychiatrischen Fachpfleger, Timothée Tindano, der von weither anreist und zwei Tage im Monat eine ambulante Sprechstunde durchführt. Die Versorgung mit Medikamenten ist ein großes Problem.
Auch einzelne Betroffene mit ihrem Schicksal und auch ihren positiven Krankheitsverläufen, den Folgen der Erkrankung für sie und ihre Familien den werden vorgestellt. Die Situation der Helfer in dem lokalen Hilfsprojekt wird ebenfalls angesprochen. Die Erkrankungen werden in der lokalen Tradition als Ausdruck von Besessenheit interpretiert, was dazu führt, dass die Dämonen vertrieben oder gebändigt werden müssen. Die Dämonen können auch auf andere Menschen überspringen und so geraten auch die Helfer in Verdacht von den Dämonen infiziert zu sein. Der Film zeigt aber auch, wie mit einfachen Mitteln eine elementare Versorgung entwickelt werden kann. Diese Versorgung wird gerade mit der Hilfe zweier deutscher NGOs ausgebaut.
Die Regisseurin war bei der anschließenden Diskussion anwesend und hat auf die zahlreichen Fragen geantwortet. Inzwischen ist sie erneut in Burkina Faso, zeigt dort ihren Film – auch den Menschen, die im Film mitwirken – und sie und wir sind auf die dortige Resonanz gespannt. Der Film kann für Vorstellungen in Kinos und Veranstaltungen angefragt werden, um auch hierzulande eine breitere Öffentlichkeit für das Thema zu erreichen.
Die Position von Amnesty International zu Mental Health und Human Rights. Ausgangspunkt und Fragen
Michael Huppertz, Psychiater, Psychotherapeut, Soziologe und Mitglied des Aktionsnetz Heilberufe, führte in seinem Einführungsvortrag in die Thematik der lange verborgenen Menschenrechtsverletzungen an psychisch und epileptisch erkrankten Menschen in Ländern ohne relevante psychiatrische Versorgung ein. Er sprach aus menschenrechtlicher Perspektive über die Probleme, die sich auf dem Weg zu einer Verbesserung ihrer Situation stellen. Wenn in den vergangenen Jahrzehnten von Misshandlungen psychisch kranker Menschen die Rede war, so im Zusammenhang mit Kritik an willkürlichen und gewaltsamen Behandlungen im Rahmen psychiatrischer Institutionen. Aber immer schon und bis heute würden um ein Vielfaches mehr Menschen außerhalb als innerhalb psychiatrischer Institutionen ihrer elementaren Rechte beraubt. Das liege schlicht daran, dass es weltweit etwa 1,5 Mio. Betten in psychiatrischen Institutionen incl. Heimen gibt, aber mindestens 200mal so viele schwer psychisch kranke Menschen in armen Ländern, die keinen Zugang zu psychiatrischer Behandlung haben. Erst seit etwa 10 Jahren werde das Problem, das Fachleuten schon lange bekannt ist, vor allem durch investigative Journalistinnen und Journalisten an die Öffentlichkeit gebracht. Auch Menschenrechtsorganisationen incl. Amnesty International kümmern sich bis heute wenig um die Situation dieses großen Teils der Bevölkerung. Es gehe also auch um eine Inklusion dieser Gruppe in die Menschenrechtsbewegung. Anhand der Entwicklung von Amnesty International führte er aus, wie die Organisation sich zunächst den politisch Gefangenen und den bürgerlichen und politischen Rechten widmete, sich später allgemein für die Abschaffung von Folter und Todesstrafe einsetzte. 2001 wurde das Mandat auf die Wahrung aller Menschenrechte ausgeweitet.
Dabei wurde bisweilen, aber nie umfassend, auch die Lage psychisch kranker und behinderter Menschen berücksichtigt. Neuerdings scheint die Thematik aber auf internationaler Ebene stärker in den Fokus zu treten, was durch wichtige internationale Konventionen befördert wurde. Dabei stellen sich verschiedene Probleme bzgl. der Kooperation mit regionalen und staatlichen Akteuren, der Vermittelbarkeit des modernen Konzepts der Menschenrechte in ländlichen Regionen, den Möglichkeiten von NGOs auf internationale Verhandlungen und nationale Gesundheitspolitik Einfluss zu nehmen. Gerade NGOs, die sich vor Ort praktisch engagieren, müssen im Auge haben, dass sie nicht dazu beitragen, dass sich die Irrwege der westlichen Psychiatrie beim Aufbau der psychiatrischen Versorgung in Entwicklungsländern wiederholen. Insbesondere der Aufbau großer separater psychiatrischer Einrichtungen sei abzulehnen, weil er ineffizient und teuer sei und solche Institutionen gerade unter prekären Bedingungen für Menschenrechtsverletzungen besonders anfällig sind. Zudem bestünde die Gefahr, dass den Regierungen der betroffenen Länder, die in der Regel nur sehr wenig oder gar nichts für Mental Health ausgeben, die Verantwortung für das Thema seelischer Gesundheit abgenommen werde. Bei dem effizienten und bezahlbaren Aufbau der psychiatrischen Versorgung innerhalb der allgemeinen dezentralen und ambulanten Gesundheitsversorgung könne man sich dagegen auf die internationale Expertise z.B. der WHO berufen. Michael Huppertz formulierte zum Abschluss zahlreiche Fragen an die TeilnehmerInnen der Tagung, deren Beantwortung für ein mögliches zukünftiges Engagement von Amnesty International wichtig sein könnte.
Global Mental Health und Menschenrechte – ein Überblick über die aktuelle Situation
Wolfgang Krahl vom Internationalen Netzwerk zur Entwicklungszusammenarbeit im Bereich psychische Gesundheit e.V., Psychiater und Forensiker an der Universität München, der seit Jahrzehnten in verschiedenen Schwellen- und Entwicklungsländern in Forschung, Ausbildung und Kooperationsprojekten tätig ist, stellte eindrucksvoll, ausgehend von der Erklärung der Menschenrechte dar, dass die geistige Gesundheit lange Zeit bei der Realisierung dieser Menschenrechte vernachlässigt wurde. Familien gerade in armen Ländern würden als einzige Unterstützer von psychisch Erkrankten aus Eigen- und Fremdschutz zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen greifen, indem sie ihre Angehörigen etwa anketten und wegschließen. Das beste Antistigmaprogramm sei eine gute Behandlung und Rehabilitation! Sie nehme auch gleichzeitig die Last von den betroffenen Familien, entlaste sie für andere Aufgaben und Tätigkeiten und sei eine konkrete Entwicklungshilfe. Hierzu gehöre dem Zielkatalog der WHO folgend eine gute Erstversorgung psychisch Erkrankter bis in die örtlichen Kommunen hinein, die Verfügung über Psychopharmaka, die Ausbildung von Experten für Mental Health, die keine Psychiater sein müssten, und dann auch die Aufklärungsarbeit und Psychoedukation übernehmen sollten. Hierzu bedarf es der staatlichen Implementierung und Vernetzung verschiedener Sektoren, ein Monitoring und weitere Forschungsarbeiten. Er wies darauf hin, dass auch in Europa die Entwicklung der Psychiatrie ein langer Prozess war, der im 18. Jahrhundert begonnen habe und zu den ersten Befreiungen psychisch Kranker aus ihren Fesseln führte. Wolfgang Krahl erinnerte auch an die weltweit umfassendsten und organisiertesten Menschenrechtsverletzungen in Deutschland zwischen 1933–1945. Im Rahmen des T4 Programms wurden unter maßgeblicher Beteiligung von Psychiatern und Pflegekräften 200.000 Erkrankte systematisch ermordet, viele zwangssterilisiert.
Wolfgang Krahl stellte dar, wieviel Geld die Staaten für die psychiatrische Versorgung ausgeben und wie weit die Schere zwischen Ländern mit hohem und solchen mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen auseinandergeht. Low und Lower-Middle-Income-Countries geben in der Regel unter 1% ihrer niedrigen Gesundheitsbudgets, bisweilen auch gar nichts, für die Behandlung dieser Erkrankungen aus. Dadurch hätten Milliarden Menschen keinen Zugang zu psychiatrischer Versorgung. Dabei sind diese nach Infektionskrankheiten und Verletzungen die häufigsten Erkrankungen überhaupt. Er zeigte, zu welch drastischen Folgen dies für Betroffene führen kann. In der Regel sind traditionelle Heiler die erste Anlaufstelle für Betroffene und ihre Familien. Traditionelle Heilmethoden könnten auch immer wieder für leichtere Formen von Depressionen, Abhängigkeitserkrankungen und neurotischen Krankheitsbildern erfolgreich sein. Bei schweren Depressionen, Schizophrenie, bipolaren Psychosen und Epilepsie hingegen müssten zeitnah psychiatrische Behandlungen, unter anderem mit Psychopharmaka und Antiepileptika zum Einsatz kommen.
Psychische Gesundheit und Menschenrechte an der Elfenbeinküste
Nathalie Kouakou von Amnesty International Elfenbeinküste referierte zur Situation in ihrem Land, in dem sie sich seit mehreren Jahren für eine Implementierung von Menschenrechtsstandards auch im Gesundheitssystem stark macht. Gerade psychisch Erkrankte seien in der Wahrnehmung und Verteidigung ihrer Rechte beeinträchtigt und entsprechend besonders prädestiniert, Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu werden. Obgleich die WHO das Recht auf psychische Gesundheit als einen zentralen Baustein des Wohlergehens definiert, werden von seelischer Erkrankung, Epilepsie oder Intelligenzminderung Betroffene noch oft stigmatisiert, ausgeschlossen von Bildung, politischen Debatten, Wahlen, Familiengründung etc. In der Elfenbeinküste sei die ganze Thematik der Lebenssituation psychisch Kranker marginalisiert.
Nathalie Kouakou stellte die UN Konvention über die Rechte Behinderter und den Mental Health Aktionsplan vor, die über die medizinische Behandlung hinaus soziale Verbesserungen für betroffene Personen fordern und darauf zielen, Barrieren der Integration abzubauen. Sie wollen Verantwortliche und Entscheidungsträger aufmerksam machen, anregen und auf Möglichkeiten hinweisen, wie sie dazu beitragen können entsprechende Leitlinien umzusetzen und die Rechte der Betroffenen zu schützen und zu gewährleisten. Die Konvention zielt im Besonderen aber auf die Wohn‑, Lebens- und Behandlungssituation, deren Standards dem heutigen Wissenszuwachs Genüge tun muss. Es soll auch ein anderes Bild psychischer Erkrankung in die Gesellschaft getragen werden, etwa durch verbesserte Aufklärung der Bevölkerung. Entwürdigende Behandlung und Unterbringung sollte ebenso geahndet werden wie zunächst einmal den Betroffenen die Möglichkeit gegeben werden muss, diese zu beanstanden. Die Regierung sollte Instrumente zur Verfügung stellen, Patienten und deren Familien etwa auch in Form von Verbänden und Selbsthilfegruppen zu stärken. Große psychiatrische Institutionen in Großstädten sollten durch eine wohnortnähere psychosoziale und medizinische Versorgung ersetzt werden. Um dies alles zu gewährleisten, müssten in der Administration staatliche Stellen zur Koordination und Planung geschaffen werden. Auch die Afrikanische Union habe sich weitgehend den Postulaten der WHO angeschlossen, dennoch mangele es an der Sichtbarmachung des Problems im Land und dem engagierten Angehen durch das Gesundheitsministerium. Die prekäre Situation der mangelnden Ressourcen einerseits und des wenig engagierten Angehens der Umsetzung der Leitlinien andererseits befördert wiederum die Fortsetzung der herkömmlichen Praktiken des religiös-kulturellen Verständnisses von seelischen Beeinträchtigungen mit der Gefahr der fortgesetzten Misshandlung, Missachtung und Ausgrenzung der Betroffenen. Dazu gehören auch sexueller Missbrauch im Rahmen magischen Denkens sowie Entführungen und Organentnahmen.
Trotz des sonst dynamischen Prozesses in der Entwicklung des Landes herrsche hier das magische Denken von Schuld, Magie, Besessenheit vor. Zur ohnehin schwachen medizinischen Versorgung des noch durch Folgen des Militärputsches von 1999, verschiedene Krisen und den Bürgerkrieg 2002–2011 gezeichneten Landes gibt es ein erhöhtes Aufkommen von Traumafolgestörungen. Für die psychiatrische Versorgung gibt es nur wenig Fachkräfte, und nur in 25% der Gesundheitsdistrikte gibt es überhaupt irgendeine Form von psychiatrischer Versorgung. Andererseits hat die Elfenbeinküste in einer neuen Verfassung 2016 festgelegt, dass alle Menschen mit Behinderung vor Diskriminierung beschützt und niemand wegen seiner mentalen oder körperlichen Verfassung benachteiligt werden darf.
In ihren abschließenden Forderungen unterstrich Nathalie Kouakou die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen hinsichtlich Epidemiologie, soziologischer Daten und Rechtslage der betreffenden Krankheitsbilder an der Elfenbeinküste, eine verbesserte Erreichbarkeit der Erstanlaufstellen in den Kommunen auch für psychische Erkrankungen, für die Investition in Ausbildung von Fachpersonal, aber auch von ehrenamtlichen Freiwilligen in den dörflichen Strukturen, um ein gutes Unterstützungsnetzwerk und Aufklärungsarbeit aufzubauen.
Von Westafrika bis Südostasien: Transformation des Zugangs zur psychiatrischen Versorgung durch die Quality Rights der WHO und die Arbeit von CBM im Bereich der psychischen Gesundheit
Carmen Valle ist als Beraterin für Mental-Health-Projekte der Christoffel-Blinden-Mission (cbm) insbesondere auch in Bezug auf Menschenrechtsbildung , in verschiedenen Ländern Afrikas und Asien tätig. Sie schloss sich mit der Darstellung den Erfahrungswerten und Lösungsmodellen ihrer Organisation an. Sie schilderte, wie es gelingen kann, basale Netzwerke vor Ort zu schaffen, Entscheidungsträger und Menschen in der Versorgung von beeinträchtigten Personen zu unterstützen. Cbm setzt u.a. auf sogenannte Peergroups, d.h. auf Menschen, die lebenserfahren sind und den Respekt der Gemeinde genießen und gleichzeitig aufgeschlossen sind für die Implementierung einer sozialpsychiatrischen Versorgung in den Gemeinden und praktisch oft therapeutisch wirken. Eindrucksvoll stellte sie ein durchdachtes Konzept der verschiedenen Ebenen dar, wie die Länder auch zukünftig ohne die zunächst flankierenden NGOs das einmal aufgebaute System eigenständig pflegen und weiterentwickeln können. Psychische Gesundheitspflege und Berücksichtigung der Situation psychisch kranker, stigmatisierter Menschen mit Epilepsie und geistiger Beeinträchtigung sollten im Gesamtkonzept von Entwicklungsarbeit integriert werden, etwa bei Bildungsprojekten in Schulen und Kindergärten. Hier kann auch bereits der Inklusionsgedanke frühzeitig eingebracht werden, ebenso wie bei Eltern- und Gemeindeversammlungen. So wird auch die Achtsamkeit gegenüber der besonderen Gefährdung der Betroffenen für Übergriffe und Misshandlungen und damit die soziale Kontrolle, die als Schutz dienen kann, gestärkt. Das Konzept ihrer Organisation besteht darin bei notfallmäßig angeforderten Hilfen in Schwellen- und Entwicklungsländern etwa nach Erdbeben, Tsunami o.ä. neben den sogenannten basic needs dann auch die seelische Gesundheit gesondert in den Blick und die Arbeit vor Ort einfließen zu lassen. Weltweit werden Vor-Ort-Trainer in Erster Hilfe in Bezug auf Erstversorgung nach Traumatisierung entsprechend den WHO Richtlinien ausgebildet.
Die Situation traumatisierter Menschen in Liberia
Susanne Grosse, Sozialwissenschaftlerin an der Universität Kassel, sorgte als Hausherrin der Veranstaltung mit dem Gießhaus nicht nur für eine angenehme Tagungsatmosphäre, sondern berichtete ihrerseits angesichts ihres bevorstehenden Forschungsaufenthaltes in Liberia nicht nur von der dort noch ähnlich desaströsen Situation Betroffener mit anschaulichem Film- und Bildmaterial, sondern verdeutlichte auch anhand der Pflegestandards in Deutschland, dass wir noch gar nicht solange selbst von einer schlechten Versorgung entfernt sind. Die Psychiatrie-Enquete und Besucherkommissionen hätten hier zwar für mehr Transparenz und Standards gesorgt, bedürften aber einer ständigen Verbesserung. Gerade den betroffenen Menschen falle es ja schwer, für ihre Rechte einzustehen. In Projekten in Liberia werden Menschen für die psychosoziale Begleitung auch insbesondere der zahlreichen traumatisierten Menschen im Land ausgebildet. Tausende ehemaliger rekrutierter Kindersoldaten sind inzwischen erwachsen und haben selbst Familien, tragen aber nicht selten Traumafolgestörungen mit sich — mit wiederum gravierenden Folgen für sich und die Gesellschaft.
Die praktische Bedeutung internationaler Menschenrechtskonventionen für die Entwicklung der psychiatrischen Versorgung
Margret Osterfeld, Psychiaterin im Ruhestand und engagiert bei Aktion Psychisch Kranke e.V. war nicht nur engagierte Kritikerin bei vorherigen Vorträgen, sondern trug selbst von ihrer Tätigkeit beim UN Unterausschuss zur Prävention von Folter vor, in deren Rahmen regelmäßig Teams Versorgungseinrichtungen in verschiedenen Ländern besuchen und Berichte erstellen, inwiefern entsprechende Standards zur Versorgung eingehalten bzw. missachtet werden und verbessert werden sollten. Diese Teams haben in der Regel Zugang zu allen psychiatrischen Einrichtungen und erstellen Berichte zu der menschenrechtlichen Situation in diesen Einrichtungen. Wenn sie keinen freien Zugang bekommen, brechen sie ihre Tätigkeit ab. Die Berichte werden an die zuständigen Behörden weitergeleitet und Vorschläge zur Verbesserung der Situation gemacht. Eine Veröffentlichung darüber hinaus wird nicht angestrebt, um die Kooperation mit den Regierungen nicht zu gefährden.
Diskussion auf dem Podium und mit dem Publikum
Die Vorträge — moderiert von Mirjam Ibold, Psychologin, Mitglied des Aktionsnetzes der Heilberufler ‑wurden von lebhaften Diskussionen begleitet, für die auch viel Zeit zur Verfügung stand. In der abschließenden Podiumsdiskussion — Moderation: Gesine Heetderks, Psychiaterin und Neurologin — ging es unter anderem um die Frage, welche Konsequenzen sich für ein mögliches Engagement von Amnesty International ergeben. Es bildete sich ein Konsens heraus, dass für die Verbesserung der Situation von Menschen mit psychischen Erkrankungen und Epilepsie eine Doppelstrategie sinnvoll ist. Einerseits kann eine nachhaltige Veränderung ihrer Situation nur erreicht werden, wenn entsprechender Einfluss auf die Regierung ausgeübt wird. Die betroffenen Staaten haben verschiedene menschenrechtlich bedeutsame Konventionen, u. a. die wichtige Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen von 2008, unterschrieben. Sie können und müssen darauf hingewiesen werden, dass die Situation dieser Menschen eine Verletzung elementarer Menschenrechte darstellt. Andererseits jedoch erfolgen Menschenrechtsverletzungen wie die Ankettung von Menschen in aller Regel nicht aus sadistischen Motiven, sondern angesichts fehlender Alternativen und Hilflosigkeit im Umgang mit den rätselhaften Krankheiten. Deshalb kann eine solche politische Strategie nur erfolgreich sein, wenn zusätzlich anhand geeigneter Pilotprojekte gezeigt wird, dass auch in armen Ländern wie Burkina Faso, der Elfenbeinküste oder Äthiopien, wie Wolfgang Krahl ausführlich beschrieb, eine medizinische Versorgung dieser Menschen zu erschwinglichen Kosten möglich ist und daher in die staatlichen Gesundheitsprogramme übernommen werden kann. Es geht also nicht darum, die Regierungen an den Pranger zu stellen, sondern sie anhand derartiger Pilot Projekte für eine Kooperation zu gewinnen, und zwar in ihrem eigenen Interesse, weil auf diese Weise ein fundamentales Menschenrechtsproblem in ihren Ländern angegangen und vielleicht gelöst wird.
Es geht darum, durch Aufklärung über psychische Erkrankungen , Epilepsie und geistige Behinderung und vor allem durch die reale Verbesserung der Behandlung und der Betreuung der Betroffenen einen ermutigenden und hilfreichen Umgang mit diesen Menschen zu fördern. Diese Aufklärung und Ermutigung sollte die Betroffenen und Angehörigen, die Gesundheitsmitarbeiter, aber auch die Behörden und die Zivilgesellschaft einbeziehen. Die Devise „ Don‘t blame“ sollte so weit wie möglich berücksichtigt werden. Stellungnahmen sollten für die verantwortlichen Regierungen gesichtswahrend und realistisch formuliert werden, damit weitere Untersuchungen, Überprüfungen der Entwicklung, neue Vorschläge usw. in ständiger Kooperation mit den Administrationen möglich sind.
Gudrun Brünner